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 Jack Orlando: Die lange Lösung

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Erster Abschnitt

Böses Erwachen

Ein süßlicher Geruch stieg mir in die Nase. Ich vermißte mein Kopfkissen, und die Matratze schien mir ein wenig spröde. Zwischen meinen Zähnen knirschte es. Was knirschte? Ich spuckte etwas Dreck aus, und mir dämmerte meine unbequeme, geradezu jämmerliche Lage. Mit meinem Bett mochte alles in Ordnung sein, ich lag nur nicht drin! Statt dessen rekelte ich mich in einer dreckigen Gasse, und das, was mir eben noch süßlicher Duft war, schwappte als bestialischer Gestank von den Mülltonnen durch die Windstille der Häuserschlucht herüber. Kein Wecker, kein fröhlicher Vogelgesang brachte mich wieder zu vollem Bewußtsein, sondern der entsetzliche Lärm einer Sirene. Bald darauf rieten zwei aufgeregte Stimmen dringlich, stehenzubleiben, es würde nichts passieren. Meinten sie mich? Vemutlich, denn einer der beiden Typen bekräftigte diesen unsinnigen Wunsch - ich lag platt wie eine Flunder auf dem Boden -, indem er mir seine 38er zeigte. Zufälligerweise zielte er dabei auf mich. Das war nicht nett von ihm, aber soweit in Ordnung, denn er trug die Uniform, die ein solches Vorgehen legitimierte.

Mühsam, wie ein Greis, den seine Pflegerin aus dem Rollstuhl gekippt hat, richtete ich mich auf. Jede einzelne Muskelfaser beklagte sich, daß ich sie so wenig komfortabel zur Nacht gebettet hatte. Warum eigentlich? Ich glaubte bestimmt zu wissen, daß ich Monat für Monat eine unverschämt hohe Wohnungsmiete zahlte; ich hatte keinen Grund, hier auf dem Asphalt zu träumen.

Da waren also zwei Bullen, die sich rührend um mich kümmerten. Der eine zielte auf meinen Hut, der andere half meiner Gebrechlichkeit ein wenig nach, indem er mich an die Wand stellte, mich, unter dem Vorwand, Waffen zu suchen, betatschte und schließlich meine ungelenken, schmerzenden Arme nach hinten riß, um mir zwei schmucke Armreifen anzulegen, die mit einer Kette verbunden waren und auf diese Weise meine Bewegungsfreiheit empfindlich störten. Dafür wurde ich geistig immer reger: Mir fiel mein Name wieder ein, mein ungefähres Alter, und ich konnte sogar schon wieder staunen wie ein kleines Kind. Denn da war noch einer, der es nicht mehr nach Hause geschafft hatte. Besonders gesund sah der Kerl nicht aus. Aber im Gegensatz zu mir schadete ihm eine Nacht unter freiem Himmel nichts mehr. Nach allem, was ich über Medizin wußte, und nach den paar Leichen, die ich in meinem Metier schon gesehen hatte, schien mir der Mann neben den Mülltonnen ziemlich hinüber. Er war der blasseste Mensch, der mir je begegnet ist, und er hatte ein unangenehmes Leck im Bauch.

Was war gestern Abend geschehen? Ich hatte getrunken; zuviel, wie seit einiger Zeit. Ich schwankte nach Hause und war schon weit gekommen, als plötzlich ein Schuß die Stille der nächtlichen Straße zerriß. Daß der bleierne Gruß dem Typen gegolten hatte, der vor mir lag, ließ sich unschwer erraten. Jemand hatte seinen Namen aus Gottes prächtiger Schöpfung gestrichen - und zwar mit einem ziemlich fetten Stift. In seinem glasigen Blick lag ein stiller Vorwurf. Ich bin zu spät gekommen. Und ich war betrunken. Unbedacht stürzte ich ins Dunkle, wo der Schuß verhallte: ein Schlag, ein Krachen im Nacken, ein leichter Schwindel, und schon küßte ich den Boden. Schwach erinnerte ich mich an Tabakrauch und ein metallisches Tapsen.

Ich versuchte ein lockeres Gespräch mit den Gesetzeshütern anzuknüpfen. "Nehmen wir einmal an, ich will nicht festgenommen werden ..." Höhnisches Grinsen auf den verbeamteten Gesichtern. Mit vagen Rechtfertigungen konnte ich diesen einfachen Straßenlatschern natürlich nicht kommen. Für die war alles klar. Der Mann neben der Leiche muß einfach der Mörder sein. Tatsächlich hatte ich mich wie ein Heißsporn von Anfänger benommen. Ein Sündenbock, der sich selbst auf dem Tablett serviert. Es gäbe verdammt viele Morde, wenn man jedes Verbrechen so leicht auf jemand abwälzen könnte. Selbst mir fiel sofort ein halbes Dutzend von Zeitgenossen ein, die ich nicht vermissen würde, wenn sich jemand entschließen könnte, sie nacheinander wegzuputzen.

Der Knülch, der mich betatscht hatte, las mir derweilen ein längeres Poem vor, das von Rechten, von Aussageverweigerung und irgendwelchen Juristen handelte. Der andere machte sich an dem Verblichenen zu schaffen. Tatsächlich holte er etwas aus einer Manteltasche, das wie ein Dokument aussah. Von mir meinte er wohl, ich wüßte, wen ich umgelegt hätte. So verriet er, stolz, lesen zu können, nur seinem Kollegen, wen er da eben beklaut hatte: "Major Pete Reynolds von der U.S. Army."

In die Pause aus Erstaunen und Ehrfurcht, die das Nennen der Institution verursachte, warf ich ein: "Wenn wir schon dabei sind, uns vorzustellen: Jack Thomas Orlando. Ich bin auch aus der Ich-krieg-dich-Branche, ein Privater. Wenn Sie mir nicht glauben, fände ich es okay, wenn wir hier eine kurze Andacht für den blassen Major abhalten und auf Ihren Vorgesetzten warten."

Das stieß auf einhellige Zustimmung. Natürlich hielten die törichten Tröpfe mich für den Mörder, aber weil die Army mit im Spiel war, waren sie vorsichtig. Ausnahmsweise trauten sie sich einmal nicht zuviel zu. Sie erkannten ihre Kompetenzen und meinten bloß, der Inspektor sei bereits verständigt.

Ich konnte nur hoffen, daß der Fall an Rogers ging, den erfahrensten Inspektor des Reviers. Ich kannte ihn aus früheren Zeiten und hoffte bei ihm auf einiges Verständnis. Die kleinen Lichter wollten mich nur einlochen. Im Knast würden sicher Informationen aus dem Milieu auftauchen, vielleicht würde ich erfahren, wer hinter dem Mord steckt. Aber dann wären mir - im wahrsten Sinne des Wortes - die Hände gebunden. Also lieber den Rogers beschwatzen, daß er mir glaubt!

Zum Glück fuhr bald ein Wagen vor, und der herbeigesehnte Tom Rogers stieg aus. So mußte ich wenigstens nicht mehr länger den Proben polizeilicher Weisheiten lauschen, welche die beiden Schwachköpfe absonderten.

Der Inspektor begrüßte mich. Er kannte sogar noch meinen Namen. In meinen besseren Zeiten hatte ich ihm manchen schweren Jungen ans Messer geliefert und Fälle übernommen, die heute noch ungelöst in den Aktenschränken schlummern würden, hätte er sie seinen Schnarchlappen übertragen.

Ich hoffte, Rogers würde nicht so einfach strukturierte Gedanken vortragen, aus denen sich ergibt, das immer der, der einer Leiche am nächsten ist, auch der Täter sein muß.

"Was machst du hier?"

"Ich lasse mir einen Bart wachsen."

Das kam nicht gut an. Er wurde etwas deutlicher.

"Warum muß ich nur immer deinen Arsch aus der Scheiße ziehen?"

Für den Morgen fand ich seine Ausdrucksweise ein wenig gepfeffert. Aber ich war nicht in der Lage, ausgerechnet diesem Mann Konversationsregeln zu predigen.

"Was hattest du hier zu suchen?"

"Ich war auf dem Weg nach Hause. Ich hörte etwas. Es war lauter als eines dieser Spielzeug-Zündhütchen. Ich wollte nachsehen, und dann hat mich der Schwarze Mann in den Schlaf gesungen ..."

"Mußt du deine Säufernase in jeden Dreckhaufen stecken, Orlando?"

"Ich wollte, ich wäre nicht nur blau wie ein Karpfen, sondern auch taub wie der alte Beethoven gewesen."

Der Bulle mit der Knarre schaute dumm drein. Vom Fischgericht schien er schon gehört zu haben, wie man aber einen Behtofen zubereitete, wußte er nicht.

"Ja", grinste Rogers. "Spontaneität will gut überlegt sein."

Letztlich gelang es mir, ihn zu überzeugen. Er spielte den Kumpel.

"Orlando, ich gebe dir achtundvierzig Stunden, die Sache zu klären, aber offen gesprochen, wenn ich du wäre, wäre ich lieber ich."

Ich zeigte ihm ein Lächeln, das demonstrieren sollte, daß sein Zynismus an mir abprallte. Immerhin sorgte er dafür, daß mir seine abgerichteten Knechte den Handschmuck wieder abnahmen und mich meines Weges ziehen ließen.

Daheim

Ich ging zurück auf die 19. Straße. Zwei Ecken weiter wohnte ich. Zunächst mußte ich mich wieder so weit herstellen, daß man mich wenigstens für einen miesen billigen Schnüffler und nicht für einen miesen billigen Penner hielt. Mein Trenchcoat sah so besabbert aus als hätten mich zwei Waschbären durch jede Pfütze der Stadt gezogen. Diesen peinlichen Anblick wollte ich nicht länger bieten und schlüpfte schnell in die Haustür. Den Flur hatte ich bereits durcheilt, den Schlüssel unter dem Fußabtreter hervorgeangelt - ohne Zweifel ein Versteck, das wirklich nur die allerbesten Detektive überprüfen würden -, als ausgerechnet meine Nachbarin ihre Tür öffnete.

Sie hieß Alice und beschwerte sich nicht, wenn ich spätnachts betrunken angetorkelt kam; sie meckerte nicht, wenn ich im Delirium, im Hausflur herumschreiend, Klienten nach Hause schickte, die überhaupt nicht da waren; kurzum sie nörgelte sonst nie. Aber selbst sie fand meine Aufmachung nicht in Ordnung. Sie verschlang nicht gerade vor Erstaunen ihren Abtreter, aber sie erkundigte sich doch nach dem Grund für die Schäden an meiner Fassade. Als mitfühlende Nachbarin lud sie mich tröstend auf einen Kaffee zu sich ein, sobald ich mich gewaschen hätte. Nichts anderes hatte ich vorgehabt.

Hurtig öffnete ich die Tür und stand in meiner Wohnung. Wo war das Bad? Ich hoffte inständig, von dem Schlag keine bleibenden Schäden davongetragen zu haben. Noch ehe ich mich darüber richtig beunruhigen konnte, fiel mir wieder ein, wo sich mein Quietsche-Entchen tummelte. Ich lenkte meine Schritte nach rechts. Vorbei an dem Bücherregal, an dem Globus und der Sitzgruppe, die mit ihrem blendenden Gelb wunderbar zu dem grün bezogenen Tischchen und dem lächerlichen Pferd im hellgrünen Rahmen paßte. Diese gelungene Komposition verschreckte mir seit Jahren erfolgreich jeden Klienten.

Dann war ich endlich im Bad und stellte mich wieder soweit her, daß ich guten Gewissens Alices Kaffee über die gesäuberte Kleidung verschütten könnte.

Bevor ich zu ihr hinüber schaukeln würde, wollte ich mich ausrüsten, den Mordfall Reynolds aufzuklären. Ich suchte mühsam alles zusammen, was auch nur irgendwie nützlich sein könnte. Als erstes dachte ich an das Ding, das im Notfall Peng-peng macht. Eine Art Artillerie. Wie hieß es gleich? Colt! Der lag in der Kommode neben dem Schreibtisch, auf den ich in letzter Zeit häufiger meine Füße als abgeschlossene Fälle gelegt habe. Als verantwortungsvoller Detektiv sorgte ich natürlich dafür, daß eine Waffe nicht einfach so herumliegt. Die Schublade, in der die Kanone von ihren Schießstandabenteuern träumte, war sorgsam verschlossen. Der Schlüssel hatte sich in der linken Schublade des Bücherregals versteckt. In der anderen fand sich ein Notizblock, den ich aber zum Ausharren verdammte: Mir brummte der Schädel, wer denkt da an Kritzeleien? Mit dem passenden Schlüssel war die Kommodenschublade kein Problem mehr.

Jetzt war ich bewaffnet, doch noch nicht gewappnet. Früher mag man sich mit Keulen erschlagen haben, aber es kam wenigstens noch nicht darauf an, wie viele Präsidentenporträts man mit sich herumschleppte. Ich sprang schnell zur farbenfrohen Sitzgruppe und entnahm der Brieftasche, die dort lag, ein paar Scheine. Den Staubwedel steckte ich noch zu mir, da ich ihn ohnehin nur selten Gassi führte und er als Spielzeug besser zu Alice paßte. Genau, Alice! Ein Kaffee könnte mir nach einer Leiche auf nüchternen Magen nicht schaden.

Kaffeekränzchen

Alice rührte sich einen weißen Stoff in ihre Tasse Kaffee, von dem ich als lizensierter Ermittler nur hoffen konnte, das es Zucker war. Sie zeigte sich über meine Verwandlung zufrieden. Wie Phönix aus der Asche.

Dann begann eine dieser Schnattereien mit Frauen, bei der man(n) sich danach immer fragt, was eigentlich der Gesprächsgegenstand gewesen war. Hier ging es wohl um die Ehe, das Putzen und um einen Staubwedel, den sie verlegt hatte. Sie hätte auch mit ihrer Katze sprechen können, die sich in der Ecke tummelte. Ich war an diesem Morgen ein unaufmerksamer Zuhörer. Ich sah mich lieber um, ob mir nicht Alice ein paar Dinge leihen könnte, die ein Detektiv bei sich haben müßte. Freilich konnte ich in meiner Lage nicht riskieren, sie zu fragen. Was, wenn sie ablehnen würde? Mir fielen die Boxerhandschuhe auf, die neben der Küchentür an der Wand hingen. Ich erinnerte mich nicht, Alice je im Ring stehen gesehen zu haben. Hatte eines dieser Känguruhs aus dem Zirkus seine Fäustlinge hier geparkt? Da fiel mir ein, daß die Dinger Ralph, Alices Mann, gehörten. Egal, die könnte ich im Moment sicher dringender gebrauchen. Außerdem lag auf dem kleinen Tisch noch ein Nagelset, für das ich mir im Augenblick keine vernünftige Verwendung ausdenken konnte. Schließlich war da noch der Apfel auf der Anrichte in der rechten Ecke. Den Grund, diesen zu requirieren, lieferte mein Magen.

Wie aber sollte ich Alice ablenken? Was war gleich ihre Lieblingsbeschäftigung? Ich sah sie lüstern an: Nein, das war ja mein liebster Zeitvertreib! Ich suchte den ihrigen. Staubputzen! Ich mußte es mir lange genug anhören. Ich zauberte den Staubwedel hervor. Überglücklich verschwand sie in der Küche und fing an zu putzen.

Diese Gelegenheit konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich sackte die Boxerhandschuhe und den Apfel ein. Ich war nicht unverschämt: Das Nagelset ließ ich, wo es war. Nur die süße Mauz-Pauz beobachtete verwundert den cleveren Dieb. Es war, als wollte sie sich empören. Sollte ausgerechnet diese Katze sprechen können? Ich verwies mir ein für alle Mal solche absurden Gedanken.

Ich verabschiedete mich still und leise. Alice hat mich wohl kaum gehört. Im Flur fiel mir der Besen auf. Was soll ich sagen? Ich nahm ihn mit. Ich dachte immer, ich wäre ein knallharter Typ, der Hausarbeit scheut. Aber dieser scharfe Feger gefiel mir über die Maßen. So sehr, daß er mich bei meinem Abenteuer begleiten sollte. Nur achtundvierzig Stunden! Ich mußte langsam an die Lösung des Falles gehen.

Straßenbekanntschaften

Plötzlich überkam mich ein unangenehmes Hungergefühl. Sollte ich zu "Marco" gehen, einem Restaurant, das man ein paar Straßenzüge weit riechen konnte? Vorbei an dem Müll von Dosen und Schläuchen, der die Straße verunreinigte, schlenderte ich zum Tatort, um noch einmal einen Blick darauf zu werfen. Dann bog ich nach links ab. Auf der anderen Straßenseite bemerkte ich einen Schuhputzer. Er war jung und sah pfiffig aus. Angeblich erfahren Friseure und Schuhputzer ohnehin immer alles zuerst. Man weiß ja, Gott sieht alles, aber die Nachbarschaft noch mehr. Es könnte nicht schaden, den Jungen in ein Gespräch zu verwickeln.

Er brachte mich völlig aus dem Konzept, als er mir eine ungeheuerliche Frage stellte. Ob er meine Schuhe putzen solle? Erschrocken verneinte ich. Ich hatte andere Sorgen, als an das Kuhleder an meinen Füßen zu denken. Doch die Informationen sprudelten nicht gerade aus ihm heraus. Was betrübte ihn nur? Schließlich rückte er damit heraus, daß er hungrig sei. Mein Gott, ich war es auch. Darauf hätte ich kommen können! Leerer Magen erzählt nicht gern. Der Junge rührte mich. Ich erbarmte mich so weit, daß ich ihm den Apfel gab. Aus meiner friedlichen Kindheit wußte ich noch, daß irgendeine Hippe in irgendeinem Märchen an solch rotbäckigem Obst krepierte. Der Junge verschluckte sich aber nicht. Im Gegenteil: Der Apfel machte ihn gesprächiger. Er erwähnte einen Scaletti, der seine Finger mit im blutigen Spiel um Major Reynolds hätte. Ich wollte nicht dumm dastehen und nickte verständnisvoll. Aber verdammt, wer war dieser Scaletti? Ein Mafioso in unserer hübschen ruhigen Stadt? Ich hatte in den letzten Jahren wirklich die Zügel schleifen lassen. Die Unordnung hatte ebenso zugenommen. Hier lag schon wieder ein abgebrochener Flaschenhals auf der Straße. Ich hatte ihn nicht hingeworfen, ich hob ihn nicht auf.

In der Straße neben dem Schuhputzer war schon "Marco", aber die Geschichte mit der Mafia war mir mächtig auf den Magen geschlagen. Statt des Verlangens nach einem italienischen Gericht, verspürte ich viel mehr Lust, auch den Kutscher auszufragen, der sein schnaubendes Roß vor dem Lokal geparkt hatte. Gegenüber befand sich eine stadtbekannte Rechtsanwaltspraxis, von der ich hoffte, daß ich sie nicht in zwei Tagen anrufen müßte - auf Staatskosten, aus dem Knast.

Mit dem Kutscher kam ich schnell ins Gespräch. Er erzählte von Napoleon. Der energische Korse war mir schon immer sympathisch. Er hätte gewiß einen guten Privatermittler abgegeben. Ich bemerkte gerade noch rechtzeitig, daß der Kutscher sein Hottehü meinte. Der Mann verriet mir, daß es gefährlich wäre, sich Pferden als Fremder zu nähern. Aber eines gefiel mir an Napoleon besonders. Ein Hufeisen lag auf der Straße und schrie förmlich nach einem Besitzer, dem es Glück bringen könnte. Verdammt, ich brauchte so viel Glück, daß ich einen Hufschmied ausgeraubt hätte. Ich mußte es haben.

Ich schaute dem Pferd eine Weile beim Futtern zu. Es war Gerste oder Hafer. Letzterer stach mich: Eine Idee durchzuckte die Nerven unter meinem Hut. Ich hatte noch den scharfen Feger bei mir, der mir so gut gefallen hatte. Wie ein Exhibitionist zauberte ich ihn aus meinem Trenchcoat und angelte mir mit dem lieblichen Haushaltsgerät den metallischen Talisman unter Napoleons Bauch hervor.

Hinterhof-Schrott

Das Glück sollte mir nun hold sein. Was wußte ich von der Tat, die man mir anhängen wollte? An was erinnerte ich mich? Da war das Tappsen, das sich entfernte, als ich das Bewußtsein verlor. Gut möglich, daß es von der Feuerleiter herrührte, die der Täter genommen haben könnte. Als der Inspektor seine Reden hielt, hatte ich mich ein wenig umgeblickt. Mir war aufgefallen, daß man die Leiter nicht ohne weiteres herunterleiern konnte. Ich bräuchte ein wenig Werkzeug. Woher nehmen?

Lange genug hatte ich mich über den Anblick geärgert, den der Hof hinter meinem Haus bot. Da stand eine alte Schrottkarre herum, die ich mir nun einmal näher betrachten wollte.

Also marschierte ich zurück zu meinem Haus und bog in die Gasse davor ein. Eine miese Gegend, sobald man die Hauptstraße verläßt. Speisereste lagen einfach so herum. Wie leicht könnte jemand auf der Bananenschale ausrutschen! Ohne solche Unglücke gäbe es gar nicht die Slapstickfilme, die in den Lichtspielhäusern gezeigt wurden. Neuerdings waren sie sogar vertont. Viele Pianisten verloren ihre Jobs. Einen davon kannte ich. Er hieß Tolby oder so ähnlich und war voller Zuversicht. Wenn er es nicht schaffen würde, sich im neuen Geschäft zurechtzufinden, seinen Nachfahren würde es gelingen.

Wo viel Müll ist, tummeln sich bald die Ratten. Die größte Ratte des Hinterhofs sollte mir aber erst noch über den Weg laufen. Sie war männlichen Geschlechts, gab sich als Farbiger aus und hieß Biff. Ausgerechnet diesem polternden Brocken gehörte der Haufen Schrott, für den ich mich interessierte. Ich war überhaupt nicht scharf darauf, die Bekanntschaft Biffs zu machen. Es ließ sich nicht vermeiden, denn kaum hatte ich mich der Kurbel genähert, die auf dem Wrack lag, stimmte eine alte Frau ein furchtbares Klagegeschrei an. Sie lauerte an ihrem Fenster. Vielleicht hatte sie Angst, jemand könnte das Unkraut stehlen, das sie auf ihrem Fensterbrett heranzog. Sie rief nach Biff, und der kam prompt. Er war eine stattliche Erscheinung. Sein Blick war hart wie Granit, und das Gesicht wirkte so vergeistigt wie der Deckel eines Mülleimers. Einer von den Typen, die in der Nase bohren, wenn sie in sich gehen. Ich dachte an die Boxhandschuhe, die ich bei mir hatte. Selbst sieben Paar der Fäustlinge hätten hier nicht geholfen. Ich mußte das eine Paar, das ich mir geliehen hatte, ein wenig präparieren. Ein Metallstück, zum Beispiel der Schuh von einem Hottehü-Pferdchen, könnte, in einer der künstlichen Fäuste versteckt, wahre Wunder wirken.

Ein Schrank wie Biff hätte vielleicht einen verfressenen Belgier, eine alte, englische Jungfer oder einen koksenden Geigenspieler beeindruckt; einen harten Kerl wie mich jedenfalls nicht. Ich wartete noch seinen Text ab. Er spuckte aber nur verstümmelte Tonbrocken aus. Als er gewalttätig werden wollte, verirrte sich der Boxhandschuh samt dem Hufeisen in seine Kauleiste. Er fiel hin. Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn. Ich hatte ganz anderes im Sinn. Ich wollte mich ein wenig ...

Auf dem Dach

... umsehen. Die Stelle, wo Major Reynolds seine militärische Karriere endgültig beendet hatte, zierte eine Art moderner Bodenmalerei. Ein weißer Kreidemensch lag am Boden; die rote Farbe hatte Reynolds selbst beigesteuert. Am Tatort fand ich die gestrige Ausgabe der "Today News". Was sollte die mir nutzen? Gestern war die Welt noch in Ordnung. Interessanter war ein Zigarrenstummel, der da lag, wo ich vor kurzem noch geschlafen hatte. Es war eine Davidoff. Seltene Marke. Taucht hier ungefähr so häufig auf wie Pinguine, die im Drugstore "Eisbär in Aspik" anbieten. Man bekommt diese Glimmstengel eigentlich nur bei Charles.

Dann wagte ich den Aufstieg. Die Kurbel war sehr behilflich dabei. Das Tappsen erkannte ich wieder. Ich hörte es, als ich auf recht brutale Weise ins Schlummerland geschickt worden war. Hier entlang war der Mörder also verschwunden. Schön vorsichtig eroberte ich Sprosse um Sprosse. Ich war froh, endlich den Mauervorsprung überwunden zu haben und meine scheppernden Schritte auf dem Blechdach zu hören. Ich störte zwei Tauben, die auf einem Verhau herumturtelten. Erschrocken machten sich die Zeckenbomber auf und davon. Ich schaute ihnen hinterher. Dummerweise hatte ich keinen von diesen römischen Spinnern bei mir, die das Schicksal aus dem Vogelflug lasen. Wie hießen die gleich? Richtig: Auguren. Sie hätten mir prophezeien können, ob ich die achtundvierzig Stunden nutzen könnte, meine Unschuld zu beweisen. Wenn der Staat schon ein paar Volt spendieren wollte, könnte wenigstens der richtige Mann auf dem Stuhl sitzen. Aber auf dem Dach tauchte kein Augur auf. Ich kannte nicht einmal einen. Dabei kannte ich selbst einen Menschen, der ernsthaft glaubte, man könnte bald Menschen zum Mond fliegen lassen. Ich halte das für eine Spinnerei; aber sollte das Wagnis doch unternommen werden, geht es bestimmt auf unsere Rechnung. Nur wir Amerikaner sind so verrückt.

Ich schlich mich dorthin, wo die Vögel ihre unangenehmen Spuren hinterlassen hatten. Es war nicht einmal ein Taubenschlag, es war eine Art Geräteschuppen, den sie belagert hatten. Ich fragte mich, warum ich noch nie auf die Idee gekommen bin, Schuhanzieher, Briefbeschwerer, Teelichter, kurz all diese Dinge, die man so häufig braucht wie einen 26er Schlüssel, auf dem Dach zu deponieren?

Klären konnte ich den Einfall nicht weiter, denn meine Aufmerksamkeit wurde von einer Dachluke magisch angezogen, die ein paar Schritte vor dem Schuppen war. Leider war sie verschlossen, und der Detektiv befand sich wie immer auf der falschen Seite des Schlosses. Ganz umsonst hatte ich mich nicht gebückt, denn es fand sich eine Streichholzschachtel, die ein Beweisstück sein könnte. War sie es nicht, taugten ihre kleinen hölzernen Kameraden mit den Schwefelköpfen immer noch dazu, meinen Tabak nicht erfrieren zu lassen. Club "Night O’Granis" - interessant.

Ansonsten konnte ich das Dach absuchen, wie ich wollte. Es fanden sich nur ein alter, verrosteter Nagel und ein alter kaputter Hammer. Aber meine Taschen sollten nicht zu schwer werden, damit ich alter Mann auch noch wieder heil unten ankommen würde.

Wiedergefunden

Unten schlenderte gerade Inspektor Rogers des Weges. Er wollte sich wohl noch einmal am Tatort umschauen. Er fragte mich, ob ich schon eine Spur hätte. Aber diesmal sprang neben einem lakonischen Dialog zweier alter Hasen noch eine glückliche Überraschung dabei heraus. Rogers präsentierte mir meine Autoschlüssel, die ich in meinen wilden Hinterhofträumen der letzten Nacht an den Kater verspielt haben muß, der hier gelegentlich herumschlich.

Ich bedankte mich brav für die Rückgabe und steuerte sogleich ins nächste Unglück. Nicht nur ich hatte meine Autoschlüssel wiedergefunden, auch Biff traf an der nächsten Ecke jemanden, auf den er gar nicht so gut zu sprechen war. Er schrie etwas von seiner Kurbel. Ehe ich sie ihm hätte zurückgeben können, und ehe ich den Boxhandschuh wieder aktivieren konnte, hatte er mich in die Gasse geschleift. Nicht zum Spaß, wie sich herausstellte. Er mimte den Barkeeper. Unglücklicherweise lag die Rolle des Drinks bei mir, und er hatte gehörig Eis in den Shaker gegeben. Gerührt, nicht geschüttelt, schloß ich letztlich eine stürmische Bekanntschaft mit der Hauswand.

Als ich wieder langsam zu mir kam, war es Nacht. Ich hatte einige dieser wertvollen Stunden, die mir noch blieben, sinnlos verschlummert - und schon wieder auf der Straße! Die einbrechende Dunkelheit veranlaßte die Bewohner der Straße zu Spielereien an den Lichtschaltern. Wahrscheinlich spielten sie Golf. War der Schlag gelungen, zogen sie mit ihren Caddies weiter - von der Küche in den Salon. Sorgsam löschten sie das Licht in dem Raum, den sie verließen.

Auch ich beschloß etwas zu verlassen: diese miese Gegend! Meine Wagenschlüssel hatte ich ja wiederbekommen. Ich ging zu meinem Zeppelin. Keine Angst: Es war keine dieser fliegenden Zigarren, die häufig genug wirklich in Rauch aufgingen. Nein, mein Wagen hieß wirklich so. Ich klemmte mich hinter das Steuer. Wohin nur fahren? Am besten die Handbremse lösen und schauen, wohin der Wagen rollt.

Er schob mich ans Ende der Straße, links, rechts, links - schließlich setzte er mich vor dem Cotton Club ab.

Zweiter Abschnitt

Nächtliche Straßen

Ich beschloß, mich zunächst einmal umzuschauen. Von der Luftveränderung begeistert, schlenderte ich geruhsam links um die Ecke, dem Eingang des Cotton Club zu.

Vor dem Lokal stand ein Typ. Er stand nur so da. Wartete er auf seine Frau, die sich im Lokal vergnügte? Auf einen ehrlichen Geschäftspartner, den noch eine andere Betrügerei aufhielt? Paßte er auf, daß niemand den Asphalt von der Straße klaute? Beschattete er einen Detektiv, der verzweifelt versuchte, seinen Kopf zu retten? Er warf mir einen Blick zu, der ein Interesse an meiner Person nicht verhehlte. Trotz meiner schlechten Erfahrungen in den letzten vierundzwanzig Stunden, sprach ich den Eckensteher an. Seine coole Fresse bekam einen Riß: "Du schnüffelst immer noch herum, Orlando?" Entweder hatte er meinen Namen auf gut Glück erraten oder er wußte wirklich, wer ich war. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung und mein professionelles Gespür neigten letzterer Ansicht zu.

Ich fragte ihn nach seinem Namen. Den wollte er mir nicht anvertrauen. Dafür spielte er sich enorm auf. Er stellte mir Schuhwerk aus Beton in Aussicht und ein ruhiges Plätzchen im Hafen, wo ich dieses den Fischen vorführen könnte. Offensichtlich fühlten sich einige Leute durch meine Recherchen mächtig auf die Zehen getreten. Er riet mir, diese Warnung nicht in den Wind zu schlagen. Es war aber windstill, und so schlug ich lieber ihn. Obwohl ich deutlich ausholte, so daß er seine Hose noch rechtzeitig über seine Visage hätte ziehen können, bemerkte er meine Rechte doch erst, als er schon zwei Zähne verloren hatte. Nach und nach spuckte er nicht nur Zähne und Blut, sondern auch alle Informationen aus, die so ein mieser Spitzel haben kann. Er verriet mir, daß sich hinter dem Restaurant, schräg gegenüber des "Night O’Granis", ein geheimes Casino verbarg. Man brauchte aber eine Einladung; wo man diese erhielt, konnte er mir nicht sagen. Er wußte es wohl wirklich nicht, denn er machte sich vor Angst bald in die Hosen. Als meine schlagkräftigen Argumente nicht mehr weiterhalfen, ließ ich ihn stehen. Ich fand, er hatte Glück, daß er es überhaupt noch konnte.

Ich bog in die Straße, wo mein Wagen stand. Neben einer netten, alten Blumenverkäuferin fand ich eine abgebrochene Blüte einer roten Rose. Sie taten mir leid: die Rose, der das Verwelken drohte und die Alte, die diesen Vorgang schon hinter sich hatte. Ich nickte der Frau freundlich zu. Sie klagte gleich darauf los. Vor der Wirtschaftskrise sei alles leichter gewesen. Nun habe sie nur noch die Literatur. Und selbst die mußte sie opfern, denn man konnte Bücher zwar im Eisschrank aufreihen; essen konnte man sie deswegen noch lange nicht. Hier kam ich mit meinen Problemen nicht weiter, aber ich hatte so ein Gefühl, daß ich die alte Dame heute noch einmal sprechen würde.

Ich schlenderte weiter. Das Hotel "Paradise" tauchte auf. Seitdem das Grand Hotel abgebrannt war, gab sich diese Absteige als die Nummer Eins unter den hiesigen Herbergen aus. Aber wenn ich mich nicht beeilte, wartete auf mich nur die Hölle, nicht das Paradies.

Unter Säufern

Die nächste Ecke sah schon übler aus. Ein baufälliges Haus lümmelte am Straßenrand herum. Der Eingang war vernagelt. Aber sonderlich haltbar sah die Holzkonstruktion nicht aus. Das untere Brett hatte keine Chance. Ich fragte es überhaupt nicht, ob es mir Platz machen würde. Es brach unter meinem Fußtritt zusammen. Ich überlegte, ob ich die Planke mitnehmen sollte. So mancher hatte schon aus dem Brett vor seinem Kopf eine Waffe gemacht. Aber, wenn ich diesen Fall nicht lösen würde, war das Beweis genug, daß ich über ein solches Brett bereits verfügte.

Ein übel stinkender Flur erwartete mich. Sicher hausten irgendwelche Penner hier, die natürlich auch ihre dringenden Bedürfnisse haben, und das Wasser war sicherlich längst abgestellt.

Die Treppe nach oben war reichlich zerbröselt. Das sparte mir wenigstens den beschwerlichen Aufstieg. Ein handlicher Stein lag herum. Vielleicht könnte er als Waffe dienen. Damit hatten immerhin schon unsere Vorfahren die Konflikte ausgetragen, die mit Grunzen und Pantomime nicht zu bewältigen waren. Aber ich hatte das Gefühl, zweckdienlichere Dinge zu finden.

Das erste Zimmer, gleich rechts neben dem Eingang, hätte Alice nicht gefallen. Die Möbel blickten mich traurig an, als hätten sie den geflüchteten Mieter erwartet, der sie hier verrotten ließ. Angetan war ich nur von einer Vase, die noch intakt schien. Sie könnte Alice ein wenig aufmuntern, immerhin hatte ich mir ungefragt einiges ausgeliehen. Den Zeitungsfetzen, der sich auf dem Boden wälzte, ignorierte ich. Wem sollte ich schon Altpapier schenken?

Ich ging in den stinkenden Flur zurück. Das Zimmer gegenüber sah nicht wohnlicher aus. Gleich neben der Tür stand ein Baseballschläger. Ich glaubte, ein Schnarchen von nebenan zu hören. Instinktiv griff ich zu dem sportiven Holz. Ich würde den träumenden Baseläufer schon über die Male jagen.

Das Grunzen kam aus dem letzten Zimmer. Eine Gestalt lümmelte sich auf einem alten Sofa herum, das sich nur noch mühsam auf zwei Füßen hielt. Das Möbelstück gefiel mir so wie der Penner darauf. Aber das Seil, das am Kopfende des Sofas lag, stach mir sehr ins Auge. So etwas hatte mir für meine Unternehmung gerade noch gefehlt. Ich wollte es nehmen, aber der Penner war gar keiner. Er schien mir im Gegenteil sogar plötzlich sehr wach. Was ich in seinem Haus suchen würde? In seinem Haus, pah! Ich wollte ihm eben ausführlich auseinandersetzen, daß es einen gravierenden Unterschied ausmacht, ob man irgendwo schläft oder Grundsteuern zahlt. Da fiel mir etwas unter seiner dreckigen Manteltasche auf. Es konnte sein, daß das Messer, welches sich dort abzeichnete, ihm etwas zuflüsterte. Vielleicht hatte es Lust, die Gedärme hinter meinem Trenchcoat zu kitzeln? Ich griff mir lieber den Baseballschläger. Da hätte er etwas zum Schnitzen, wenn er sein Werkzeug ziehen sollte.

Die Geste mit dem Schläger hatte er wohl mißverstanden. Er war schneller auf seinen Beinen als ich es ihm zugetraut hätte. Er war allerdings genauso schnell wieder am Boden. Er hatte das Messer gezückt, und ich kann es nicht ab, wenn vor mir jemand mit Besteck herumfuchtelt. Ich gab ihm etwas vor den Latz. Scheinbar wollte er gar nicht schnitzen. Mit leichtem Kopfschmerz legte er sich wieder schlafen. Ich nahm mir das Seil.

Die Tür an der Sofawand war verschlossen. Mir war das schnurz. Ich verließ die Bruchbude, um mich auf dem Hinterhof noch ein wenig umzusehen. Da sah es auch nicht besser aus. Immerhin reckte sich bereits ein Baugerüst auf. Offensichtlich sollte das Haus gerettet werden. Der Typ, der sich an der Hauswand ausruhte, war dagegen nicht mehr zu retten. Ich erkannte ihn erst, als er mich ansprach. Es war Jerry Cooper, genannt das "Fläschchen". Wir plauderten ein wenig über die Vergangenheit. In den Tagen der Prohibition waren wir beide glücklicher. Für mich gab es jede Menge Arbeit und kein Alkoholproblem, und Jerry hatte damals keinen größeren Traum, als sich blind zu saufen. Er meinte, der geschmuggelte Whisky habe viel besser geschmeckt als der jetzt legalisierte Fusel. Wirklich eine tolle Zeit, die am 5. Dezember zu Ende gegangen war. Vierzehn Jahre lagen hinter uns, in denen Alkohol ebenso verboten war wie Mord. Nun durfte wieder gesoffen werden, und man schob seine Leichen heruntergekommenen Detektiven unter! Orlando und Jerry waren erstmals einer Meinung: Früher war alles besser. Er gab mir noch einen Tip. Wenn ich auf guten Zehzwei-Hafünf-ohha aus sei, sollte ich die alte Schnapsbrennerei im Auge behalten.

Ich betrachtete noch das Baugerüst. Obwohl es verboten war, auf Baustellen zu spielen, tummelten sich eine Maurerkelle, ein Ziegelstein und ein alter Schuh dort herum. Ich verwarnte sie, ließ sie aber in Ruhe. Der alte Orlando konnte sich schließlich nicht um alles kümmern. Der alte Orlando hatte auch wenig Lust, über den Bretterzaun zu steigen. Der angrenzende Hinterhof gehörte zum Club "Night O’Granis". Aber in meinem Alter sind solche Lausbubenstreiche, bei denen man sich die Hosen zerreißt, nicht mehr lustig. Es würde sicher eine Möglichkeit geben, das Lokal wie ein Ehrenbürger durch das Entree zu betreten.

Chinatown

Als ich so betrachtete, was ich alles mit mir herumschleppte, brach mir der Schweiß aus. Ich sollte ein paar Dinge verschenken. Ich spazierte zurück zum Cotton Club. Da sah ich die alte Blumenverkäuferin. Ich entschloß mich zu meiner heutigen guten Tat. Das Hufeisenwerfen in Biffs Visage oder die Baseball-Runde mit dem Penner konnte man nur schwer so auslegen. Also schenkte ich der alten Frau die Vase aus der Ruine. Wer, wenn nicht eine Blumenverkäuferin, könnte damit etwas anfangen? Sie zeigte sich sehr erfreut. Sie fühlte sich wohl zu einem Gegengeschenk verpflichtet. Sie drehte mir ein altes chinesisches Manuskript an, das mir eben so wertvoll wie die Vase vorkam. Reine Höflichkeit verwandelte mich in einen begeisterten Sinologen. Mit einem beglückten Strahlen zog sie ihre Falten im Gesicht glatt. Ich lächelte zurück und bog nach rechts um die Ecke. An einem beschäftigten Hausmeister vorbei, der die Straße fegte, gelangte ich in einen ruhigeren Teil der Straße. Vor der alten Schnapsbrennerei bog ich nach rechts. Ich erkannte einen Chinesen, der seine Leckereien auf der Straße anbot. Ich begann zu plaudern und verzweifelte bald. Mit diesem Sophisten war vielleicht gegrillte Katze, nicht aber gut Kirschen essen. Um seiner fernöstlichen Weisheit beizukommen, zauberte ich das Manuskript hervor. Seine Augen wurden noch schmaler. Ich konnte sein Interesse geradezu riechen. Wir kamen ins Geschäft. Er plauderte über den Türsteher des "Night O’Granis". Ich sollte schön vorsichtig und höflich anfragen; auch der Verdienst der Muskelpakete sei nicht besonders. Wenn jemandem die Scheine aus den Taschen wuchsen, vergrößerte das die Chance, in den Club und nicht ins Hospital zu kommen.

Einen Drink würde ich nicht ablehnen. Ich sollte wirklich diesen Club aufsuchen. Immerhin hatte ich mit den Streichhölzern aus diesem Etablissement schon ein Indiz. Aber zunächst wollte ich mich noch ein wenig in Chinatown umsehen. Hörte ich jemanden schreien? Rief da einer einen Namen? Verlangte jemand nach einem Mister Gittes oder so ähnlich? Ich faßte mir vor Schreck an meine Nase. Sie war heil. Ich hatte mich wohl getäuscht. Alles war still. In der Gasse neben dem Chinesen fand ich einen Fächer. Was interessierte mich der? Ich hatte heute schon genügend Chinesen beschenkt. Dann schaute ich noch in die Wäscherei. Dort lag nur eine alte miefige Hose herum, die ich nicht einmal mit den berühmten Stäbchen angefaßt hätte. Die Redensart "Friß meine Shorts" jagte mir erstmals Schauer über den Rücken.

Eine ältliche Frau wärmte einen Stuhl an und behielt die Wäschetrommeln im Auge, die immerzu Purzelbäume schlugen. Vielleicht hatte sie den Geräten das beigebracht. Sie schmeichelte meiner Eitelkeit ein wenig, indem sie mich erkannte, trotzdem ich mich zunächst als Mechaniker ausgab. Sie wußte aus der Presse, wer ich war und sprach allerlei über mein großartiges Wirken für die Sicherheit der Stadt. Das ging runter wie Öl, half mir aber nicht weiter.

Ich beschloß, die Straße weiter heraufzugehen. Dort lag der Laden von Charles. Ich trat ein. Charles bediente gerade eine Frau, die aufgeregt ein Päckchen in ihrer Tasche verstaute. Da Charles ein verläßlicher Langweiler war, nahm ich an, daß es sich um Mehl und nicht um Kokain handelte.

Was wollte ich gleich bei ihm? Es brannte mir auf den Lippen. Es brannte. Genau! Die Davidoff-Zigarre, die tot und zertreten wie der Major am Tatort gelegen hatte. Ich fragte Charles danach. Sehr viel konnte ich seiner Auskunft nicht entnehmen. Aber dafür erleichterte ich ihn um fünf Dollar und schnorrte die heutige Ausgabe der "Today News". Ich winkte ihm Ade und verschwand.

Vor dem Restaurant neben Charles Laden lungerte ein Mädchen herum; so leicht, die schwamm sogar in Milch. Ich wich ihr schräg über die Straße aus. Das "Small Talk" ließ ich links liegen; mir dröhnte noch genügend von dem abwegigen Gesabbel des Chinesen im Ohr. Einen Straßenzug weiter fand sich das Restaurant, von dem der Spitzel gesprochen hatte. Ihm gegenüber lag das ...

"Night O’Granis"

Zunächst einmal sprach ich den Taxifahrer an. Mit dem begeisterten Kraftfahrer plauderte ich über meinen guten alten Zeppelin, der schon seine zwanzigtausend Meilen geschafft hatte. Der Kenner erwähnte, daß sein Kumpel Frank eine Reparaturwerkstatt besitzt, die nur fünf Minuten vom Cotton Club entfernt liegt. Für eine Flasche Whisky würde dieser Frank jeden Pferdewagen in eine Rennkiste verwandeln.

Das interessierte mich im Moment wenig. Aber ich zog aus dem Gespräch genügend Optimismus, daß ich mir einbildete, nun auch den Türsteher davon überzeugen zu können, wie schön es für seine Kaschemme wäre, mich ihren Gast nennen zu dürfen.

Zunächst war er nicht sehr höflich. Der Laden sei voll, hieß es. Die Menge muß das Lokal panikartig durch den Hinterausgang verlassen haben, denn als ich ihm die Scheine zusteckte, war es plötzlich weniger überfüllt. Ich warf dem Türsteher nicht vor, daß er bestechlich war. Die Preise sind generell zu hoch, als daß Geld nicht das Wichtigste im Leben sein könnte. Mit dem Mädchen neben dem Rausschmeißer wollte ich lieber nichts zu tun haben; ich hatte beiläufig gehört, wie sie ihm ihr Liebesleid klagte. Von Liebe wollte ich nichts hören.

Dafür sah ich die Liebe, als ich das Lokal betrat. Ich wurde magisch an die Bar gezogen. Durst war meine Ausrede, aber es war wohl mehr die Blondine im blauen Kleid. Sie trug Ohrringe, die ebenso blau waren wie das Kleid und - wie ihre Augen! Es war schwer zu sagen, wie alt sie war. Die Zeichner solcher Adventures ... Was? Ihr Anblick verwirrte meine Gedanken. Die Zeit, meine ich, die Zeit zeichnet ihre Spuren in die Gesichter, und die Frauen geben sich Mühe, sie mit Tusche und Puder zu verwischen. Aber ich hatte keine Chance, mich zu verlieben, denn sie sprach mich an, und ich wußte, daß sie nicht ihre Freizeit hier verbrachte, sondern sich rein beruflich an mich gewandt hatte.

Ich fragte sie nach ihrem Namen. Sie behauptete, "Drei Dollar" zu heißen. Sie sah aus wie "Zwanzig Dollar". Charles hätte es bestimmt lieber gesehen, wenn ich mir für sein Geld ein Butterbrot in die Speiseröhre gedrückt hätte, anstatt die fünf Kröten einer Nutte ins Dekolleté hopsen zu lassen. Dafür flüsterte sie mir aber auch zu, wer hier Davidoff-Zigarren geraucht hätte. Ein Tabak, von dem sie scheinbar nicht viel hielt. Sie konnte sich gut an den Gestank erinnern. Auch an den, der sich den Glimmstengel ins Gesicht gepflanzt hatte. Er hieß angeblich August Bellinger, und wenn sich die grauen Zellen hinter der schönen Stirn nicht täuschten, war dieser im Hotel "Paradise" abgestiegen.

Die anderen Gäste strafte ich mit Nichtbeachtung. Sie machten sich nicht viel daraus. Einer fiel mir doch auf. Er saß auch an der Bar und trichterte sich ein Gläschen Feuerwasser nach dem anderen in die Kehle. Ich war erschrocken, wie abstoßend Säufer sein konnten. Ich sollte wirklich weniger trinken. Wenn ich mit heiler Haut aus diesem Schlamassel herauskommen sollte, würde ich mich wieder mehr meinem Beruf und weniger dem Alkohol widmen. Natürlich auch mehr den Blondinen.

Ich hatte ein neues Ziel und machte mich sogleich auf den Weg zum Hotel. Vorbei an Charles, dem ich durch das Schaufenster zuwinkte, vorbei auch am Chinesen, der sich in das Manuskript vertiefte, und dann auf die andere Straßenseite.

Hotel "Paradise"

Ich überfiel den Portier direkt mit der Frage, ob vielleicht ein Mister Bellinger hier abgestiegen sei. Er wußte es nicht. Schließlich schrieben sich die Gäste nicht bei der Witzfigur mit der Operettenuniform ein. Auch meinte er, hier sei der Teufel los: Ganz Hollywood und jeder Diplomat dieser Welt sei hier schon abgestiegen, nur der deutsche Ex-Kaiser noch nicht, und den würde man jeden Augenblick erwarten. Wie sollte er sich an jeden einzelnen der Gäste erinnern? Das blonde Freudenmädchen hatte gemeint, Bellinger müsse reich sein. Dieser Eigenschaft entsann sich der Portier dann doch. Er hatte fünf Dollar Trinkgeld von Bellinger erhalten.

Er war also hier. Ich betrat die Halle. Der Page, der den Lift im Auge behielt und dabei ein Loch in die Dekoration starrte, erinnerte mich an den hungrigen Schuhputzer. Tatsächlich stellte sich heraus, daß es sein Bruder war. Ich wollte ihn darauf hinweisen, daß er seinem Bruder ruhig etwas zustecken könnte, aber mich zog es weiter zur Rezeption.

Ich brauchte keine Absteige. Ich hatte eine Wohnung, auch wenn ich in letzter Zeit häufig genug im Freien übernachtete. Aber mich interessierte, in welchem Zimmer Bellinger den Stock geparkt hatte, mit dem er nachts gern um sich schlug. Der Typ hinter dem Pult machte kein Geheimnis daraus: Zimmer 101. Aber den Schlüssel, so behauptete er, hätte er nicht, und wenn er ihn hätte, würde er ihn mir nicht aushändigen. Ich schaute ein wenig überrascht auf meine Füße. In den dreckigen Schuhen versteckten sich immer noch zwei mal fünf Zehen; mich interessierte mehr eine Schachtel Lucky Strike, die auf dem Boden Hasche spielte. Aber mir war es zu blöd, mich darauf zu stürzen, solange der Onkel "Mein-Gästebuch-weiß-alles" mir zuschaute.

Als er sich für einen Moment in die Zeilen vertiefte, die seine Gäste geschmiert und gekleckst hatten, verschwand ich unauffällig in den Wirtschaftsräumen des Hotels. Es hätte ebenso gut ein Balalaika spielender Tanzbär hinter der Rezeption verschwinden können. Dort war es blitzeblank, aber von einer Putzfrau war nichts zu sehen. Glücklicherweise hatte sie ihren Schlüsselbund zu den Zimmern an einer Tür stecken lassen. Ich suchte mir den passenden heraus. Eins-Null-Eins. Ich hatte ihn.

Ich schlich mich zurück in die Halle und fragte den Bruder des Schuhputzers nach dem Zimmer 101. Er meinte, es läge im ersten Stock, in der Nähe des Liftes. Also drückte ich mir den Aufzug herbei und ließ mich eine Etage höher katapultieren.

Der Flur war leer. Am Ende des Ganges flitzte eine Putze mit ihrem Wagen um die Wette. Ich hatte Glück. Zu manchen Hotelzimmern waren es vom Fahrstuhl aus nur noch wenige Meilen, aber Bellingers Zimmer lag direkt gegenüber dem Lift. Ich klopfte, um zu überprüfen, ob er da war. Es hätte keinen guten Eindruck hinterlassen, wenn ich einfach so bei ihm eingedrungen wäre.

Aus dem Zimmer kam nichts, was eine Antwort hätte sein können. Ich riskierte es. Ich schloß auf und trat ein. Obwohl Absteigen jeder Preisklasse ihren Gästen sonst nur ein elektrisches Schummerlicht gönnen, so daß man auch bei der früheren Kerzenbeleuchtung hätte bleiben können, streifte mein Kennerblick sofort die wichtigsten Indizien. Der Stock am Bettgestell erinnerte meinen schmerzenden Nacken an die letzte Nacht. Unter dem Bett fand sich ein Koffer, den ich hochholte und durchsuchte. Handelsvertreter für Milchbonbons war dieser Bellinger bestimmt nicht. Unter ganz passabler Wäsche verborgen, schlummerte eine Eins-A-Flinte samt Zielvorrichtung. Das Gerät war in seine Einzelteile zerlegt und wie für einen Auftragskiller geschaffen. Das Gewehr vor der Arbeit zusammenzusetzen war weniger auffällig, als immer einen Cello-Kasten mit sich herumtragen zu müssen.

Auf dem Nachttisch lag ein Notizbuch. Ich sah es mir genauer an. Eine Eintragung lautete "20 Uhr, Night O’Granis, Smith, Today News". Was sollte das bedeuten? Ich wollte mein unterbezahltes Hirn gerade aktivieren, als ich den Lift hörte. Wenn es nun Bellinger wäre, der da hinaufkommt? Ich betrachtete mir das Fenster. Es führte zum Hof. Da ich mich im ersten Stock befand, war es möglich, hier auszusteigen. Tatsächlich machte sich jemand an der Tür zu schaffen. Die Putzfrau hatte keinen Schlüssel mehr, und ein Killer würde nicht zögern, für den Detektiv, der gerade sein Werkzeug beschnüffelt hat, ein paar Gramm Blei zu verschwenden. Diesen Gedanken beendete ich erst gar nicht. Ich war schon halb an der frischen Luft. Ich kletterte die Fassade hinunter und landete neben Jerry auf dem Hinterhof.

Ich fand, es war Zeit, sich noch einmal im "Night O’Granis" umzuschauen. Vielleicht würde ich Mister Smith kennenlernen, den Bellinger treffen wollte. Was die "Today News" bedeuten sollte, schwante mir auch schon. Sicherlich waren zwei Gangster wie Bellinger und Smith nicht an Publicity interessiert. Eine Pressekonferenz hatten sie bestimmt nicht einberufen. Eher war es ein verabredetes Kennzeichen, daß sie nicht dem falschen Mann den falschen Text erzählen.

Rollentausch

Die Blondine war leider nicht mehr im "Night O’Granis". Aber der Typ am ersten Tisch fiel mir gleich auf. Jeder Zoll an ihm sah aus wie ein typischer Smith. Er hatte eine Zeitung vor sich liegen, wie auch ich sie bei mir hatte. Ich blätterte mein Exemplar der heutigen "Today News" daneben. Er bot mir den Platz neben sich an. "Sie sind sehr pünktlich, Smith", testete ich ihn an. Es lag keine Verwechslung vor. Er fragte, wie mein Job gelaufen sei. Ich und Major Reynolds wußten nur allzu gut, wie es gelaufen war. Ich meinte, daß es keine Probleme gegeben habe, aber daß mir dieser Schnüffler Orlando nicht geheuer sei. Smith meinte, Don Scaletti sei zufrieden, und für den Privaten würde sich eine Lösung finden. Das war interessant, aber ich konnte schlecht genauer nachfragen. Bellinger hätte der Brennholzpreis von 1811 mehr interessiert als der Ort, wo man mich einbetonieren würde.

Schließlich kam er zum Wesentlichen. Bellinger hatte wohl zwei oder drei süßsaure Drops dafür verlangt, daß er Reynolds die Lichter ausbließ. Die wollte Smith mir jetzt andrehen. Er schlug ein ruhigeres Plätzchen vor, um die Leckereien abzählen zu können. Wir gingen durch den Hintereingang auf den Hof des Clubs. Hier versuchte Smith w wirklich, das Geld zu zählen. Dummerweise drehte er mir dabei den Rücken zu. Ich zog den Colt und - nein, ich erschoß ihn nicht; ich knallte ihm nur den Schaft der Waffe an die Schläfe. Er legte sich schlafen, und ich fesselte ihn mit dem Seil von dem anderen Typen, den ich heute schon gestreichelt hatte. Sicher ist sicher, wenn Smith wieder zu sich kommen würde und Scaletti von dem falschen Bellinger berichtete, könnte mir das unangenehm aufstoßen. Die Welt steckt voller Enttäuschungen; die Tasche, in der Smith nach dem Naschwerk gekramt hatte, war leer! Er wollte also Bellinger herein- und wahrscheinlich auch umlegen! Auf dem Rückweg ins Lokal schaute ich auch kurz hinter die Tür, die ich bisher nicht beachtet hatte. Sie führte zum Lager des Clubs. Auf einer Kiste langweilte sich eine leere Flasche Schnaps; sie tat mir leid, doch man kann sich nicht um alles sorgen. Ebenso ignorierte ich einen Flakon mit billigem Parfum, der in der Garderobe verrottete.Als ich zurück ins Lokal kam, tobte dort das Leben. Eine scharfe Brünette tanzte in einem roten Etwas auf der Bühne. Aber ich konnte mich nicht auf Details ihrer bezaubernden Physis konzentrieren, denn ein anderer Herr hatte Smiths Platz eingenommen. Einiges sprach dafür, daß es sich um Bellinger handelte. Ich packte die Zeitung wieder aus.Das Katz-und-Maus-Spiel begann von neuem. Nur übernahm ich diesmal die Rolle der Brillenschlange, die ich im Hof zu einem Paket verschnürt hatte. Auch Bellinger zeigte sich über diesen Orlando beunruhigt. Ich fühlte mich geschmeichelt. Die Sache wäre beinahe aufgeflogen, als er mich nach einer Elizabeth fragte. Ich lavierte mich über meine Unsicherheit hinweg. Zum Glück war ihm die Vergütung seiner Untat wichtiger. Ich konnte ihn auf den Cotton Club vertrösten, indem ich einen Bullen am Nebentisch erfand. Das beeindruckte ihn. Eine Luftveränderung war das kleinere Übel. Auf dem Weg fragte er mir über das Geld Löcher in den Bauch. Dann bekam er selbst welche. Noch ein Mord Wir hatten den Club beinahe erreicht. Es waren nur noch wenige Schritte bis zu meinem Wagen, als ich hörte, wie sich ein Automobil auf der anderen Straße der Kreuzung näherte. Dann hörte man nur noch eine Automatic. Aus dem Wagenfenster glotzte ein Maschinengewehr. Ein heißer Bleiregen ging auf uns nieder. Ich suchte Deckung hinter meinem Zeppelin. Ein wenig später tat das auch Bellinger; allerdings war er da schon leckgeschossen. Sein Mantel färbte sich. Fünf Schüsse hatte er sicherlich abbekommen. Ich zog meinen Colt und donnerte ein bißchen in Richtung des Wagens, der aus dem Kreuzungsbereich verschwand. Was war zu tun? Bellinger war hinüber. Was soll es. Ob man auf der Straße vor dem Cotton Club den Löffel in Gottes Aufwaschbecken wirft oder woanders; zum Sterben war der Ort genau so geeignet wie jeder andere. Ich fand nicht, daß es sonderlich schade um Bellinger war. Mehr Sorgen machte ich mir schon um meinen Wagen, den die Schießerei mächtig lädiert hatte.Der Besitzer des Cotton Clubs kam herausgestürzt. Er hatte sich wohl ängstlich hinter seiner Theke versteckt, gehörte aber zu den Zeugen, die im nachhinein immer alles genau gesehen haben wollen. Er behauptete, ich hätte Bellinger erschossen. Natürlich konnte er als Privatmann glauben, was er wollte; aber dummerweise band er es auch genau den zwei Polizisten auf die Nase, die mich heute morgen neben Reynolds gefunden hatten.Die Sache sah nicht gut aus. Die Bullen bestätigten mir das. Bellinger als Mörder Reynolds zu präsentieren, schien denen nur als billige Ausrede, da sie ihn nicht mehr verhören konnten. Zum Glück waren sie vertrottelt; ich bekam noch eine Chance. Einer von ihnen begleitete den Typen, der sich für einen Zeugen hielt, mit in den Cotton Club, um die Aussage aufzunehmen. Der andere meinte, der Inspektor sei schon informiert und auf dem Wege. Dann verschwand auch er, um einen Leichenbestatter anzufordern.Ich verdrückte mich vorsichtshalber erst einmal. Inspektor Rogers könnte wahrscheinlich keinen Mann decken, der innerhalb von vierundzwanzig Stunden zweimal neben Leichen auftaucht.Was sollte ich anfangen. Ich folgte dem zweiten Bullen um die rechte Ecke. Er war blind genug, mich passieren zu lassen. Ich machte mich auf den Weg zur Werkstatt; mein Wagen müßte in die Hände von Fachleuten. Wenn sich die Sache hier beruhigt hätte, könnte ich immer noch zurückkehren Werkstatt Ich schlich mich links an der alten Schnapsbrennerei vorbei. Immer weiter geradeaus. Bald sah ich ein rotes Schild, so groß, daß man es für die untergehende Sonne halten konnte. Laut schrie es in die Gegend: Franks Garage. Ich schaute mich auf dem Hof um. Zwischen lauter Schrott stand ein Wagen, bei dem es jemand für nötig gehalten hatte, ihn sorgsam mit einer Plane abzudecken. Dieser interessierte mich. Sieh an! Ich würde die Plane mit Ketchup garniert auffressen, wenn das nicht der Wagen war, aus dem auf mich und Bellinger geschossen worden war. Im Wagen fand ich eine Einladung für das Casino. Die konnte ich schlecht ausschlagen Vorher schaute ich noch in die Werkstatt. Da stand bereits mein Wagen. Der Mediziner, der ihn heilen sollte, versprach mir, sich zu beeilen. Hinsichtlich der Bezahlung meinte er, Geld sei nicht das Unnötigste auf der Welt, aber leider könnte man es cht trinken. Ich überlegte mir das. Münzen, Scheine ... Verdammt, er hatte vollkommen recht.

Beruhigt machte ich mich auf den Weg ins Casino. Der Spitzel hatte gemeint, es befände sich im Restaurant. Nach der Schnapsfabrik bog ich nach links, lief am Chinesen und der Nutte vor dem Café vorbei und gelangte vor das Restaurant.

Das Restaurant, hinter dem mehr steckt

Ich betrat den Schuppen. Von einem Casino wollten weder Wirt noch Gäste etwas wissen. So wandte ich mich direkt an den Bodyguard, der aufpaßte, daß niemand einen dressierten Elefanten auf einen der Barhocker plazierte. Zunächst vertröstete er meine Spiellust auf eine Wüstenstadt in Nevada. Er meinte wohl Las Vegas. Da rief der Barkeeper in die Küche: "Siegfried!" Als der Gerufene nicht erschien, schallte ein "Roy!" durch den Raum. Vielleicht waren es die Tellerwäscher. Mich aber brachte es auf eine Idee: Ich zauberte die gefundene Einladung hervor. Der stattliche Cherub wünschte mir "Viel Glück" und bat, ich sollte das nächste Mal das "Spielchen" des Ahnungslosen bleiben lassen.

Ich betrat das verbotene Gemach. Es war nicht gerade das, was man sich unter einer verruchten, verqualmten "Spielhölle" vorstellte. Der Raum glich eher einem gutbürgerlichen Salon, und die Gestalten, die hier verkehrten, rochen auch nicht sonderlich nach Halb- oder Unterwelt.

Ich sprach gleich die Leute am ersten Tisch an. Drei Männer spielten Poker. Ich hatte nicht das Gefühl, willkommen zu sein. Ein Rüpel meinte: "Verpiß dich, du Sack!" Ich überhörte es und lenkte das Gespräch geschickt auf Scaletti. Der war scheinbar nicht für jedermann zu sprechen. Ein Knülch am Tisch meinte, Scaletti regele seine Geschäfte über Smith, der so etwas wie seine rechte Hand abgab. Ich mußte schmunzeln. Smiths rechte Hand war wie seine linke gefesselt. Sicher durchstöberte seine Fresse, auf der Suche nach Trüffeln, immer noch den Hinterhofdreck.

Ob Poker, ob Black Jack; alle schienen furchtbar damit beschäftigt, ihr sauer Verdientes zu verspielen. Erst der Croupier beim Roulette verwies mich an einen Schrank von Leibwächter, der vor einer Tür hockte. Wenn ich Don Scaletti sprechen wollte, sollte ich mich an diesen Kraftbrocken wenden. Er nannte sich Jim. Freudig erregt, daß jemand sein Herrchen sprechen wollte, wedelte er mit ... nein, nicht mit seinem Schwanz, sondern mit einem Stück glänzenden Metalls.

"Das hier ist ein Revolver", verkündete er. "Er kann Peng-Peng machen. Das wollen wir doch lieber nicht ausprobieren, oder?"

"Hast du auch einen Waffenschein für dein Spielzeug?"

"Don Scaletti selbst hat ihn unterschrieben."

"Na dann ..." Er unterbrach mich und nahm mir Colt und Ausweis ab. In das Dokument warf er einen Blick. Eigentlich waren es zwei, denn es dauerte eine Weile, bevor er es richtig herum drehte.

"Jack or Lando - wie heißte denn nun?"

"Bimbo."

Vielleicht glaubte er mir nicht, jedenfalls schob er mir sein Eisen in den Rücken und mich selbst in ein nobles Büro.

Ein Mann saß hinter einem prächtigen Schreibtisch. Er streichelte eine Art von Schoßtier. Eine hübsche Blondine saß auf einem Sofa und hielt ein Glas Champagner fest. Viel Zeit hatte ich nicht, mich umzuschauen. Der Boß meinte, er könne sich nicht erinnern, mich eingeladen zu haben. Es war Don Scaletti. Ich stellte mich vor und schilderte ihm, daß alle Wege nach Rom und alle Spuren im Fall Reynolds zu einem italienischen Namen führen. Ich berichtete von Bellinger und verschwieg auch nicht den bleiernen Zwischenfall, der ihn in die ewigen Jagdgründe befördert hatte. Scaletti verzog keine Miene. Aber die Blondine sprang auf. Ganz offensichtlich nahm sie der Tod Bellingers mit. Vielleicht war sie die Elizabeth, die Bellinger erwähnte. Vor Schreck ließ sie ihr Glas fallen. Das teure Gesöff bildete auf dem noch wertvolleren Teppich eine häßliche Pfütze, die auch das Fellbündel auf Scalettis Schoß nicht besser hinbekommen hätte. Die Blondine verlor die Nerven und stürzte hinaus. Man konnte nicht sagen, daß sich Scaletti besonders mitfühlend zeigte. Die Freiheitsstatue hätte mehr gezappelt.

Eine Frage klopfte an und stellte sich in den Raum: Was sollte mit dem wißbegierigen Detektiv geschehen, der es bis hierher geschafft hatte? Ich sagte, daß ich gerne am Leben bleiben würde. Dem Gesicht Scalettis nach, standen die Chancen für diese märchenhafte Variante nicht sonderlich gut. Ich war so zuversichtlich wie die Staubmilben, die im durchgeweichten Teppichgewebe ertranken. Mein Champagner würde salziger schmecken, und ich würde ihn mit den Fischen teilen.

Aber ich hatte wenigstens einen günstigen Zeitpunkt erwischt, die Höhle des Löwens aufzusuchen. Offensichtlich hatte Scaletti einen wichtigen Termin. Der Schwachkopf, der mir seinen Revolver in den Rücken drückte, erwähnte, daß Scaletti in einer halben Stunde im Hafen sein müßte, um ein Geschäft abzuschließen. Ein Deal mit Major ... Er war dumm, aber nicht dumm genug. Er stoppte seinen unkontrollierten Redefluß just an dieser Stelle, da mich meine Neugier fast weggesprengt hätte.

Scaletti beschloß, mich noch ein bißchen aushorchen zu wollen, bevor ich zu Fischfutter mutieren sollte. Der Bodyguard stieß mich durch die gleiche Tür, die das Blondchen bei ihrem übereilten Abgang fast eingetreten hätte. Nur führte er mich nicht zu einem Schäferstündchen mit ihr, sondern geradewegs in einen Keller.

Flucht aus dem Casino

Schlecht war das Quartier nicht. Trotzdem hätte ich gern eine Möglichkeit gefunden, Scalettis Gastfreundschaft nicht weiter in Anspruch zu nehmen. Ich war verzweifelt. Hier käme ich nie wieder heraus. Hatten die Götter mich verlassen? Nein, der verbitterte Amor sollte mir beistehen.

Bald hörte ich Schritte. Ich blaffte durch die Tür. Erstaunlicherweise antwortete mir eine Frauenstimme. Es war die Blondine. Sie wollte alles über August wissen. Was sollte ich sagen? Es war der Monat nach dem Juli und vor dem September. Aber offensichtlich hatte ich sie mißverstanden. Sie meinte Bellinger, den dummen August, der mich in all das verstrickt hatte. Ich schilderte ihr kurz, was geschehen war. Sie machte kein Hehl aus ihrem Verdacht gegen Scaletti, den sie Onkel nannte. Ich habe nie viel von Verwandtschaft gehalten - Freunde und Feinde kann man sich aussuchen, die Verwandtschaft nicht. Nach kurzem Überlegen reimte ich mir zusammen, daß der Blondschopf Scalettis Nichte war. Sie wollte Bellinger heiraten. Onkelchen "Mir-können-Sie-nichts-anhängen!" hatte etwas dagegen und wollte gleich mehrere Fliegen mit derselben Klappe schlagen. Er schaffte sich Reynolds durch Bellinger vom Hals, und anstatt den Mörder und Liebhaber seiner Nichte die verabredeten Drops auszuzahlen, half er auch noch diesem, die Tür zum Jenseits zu finden.

Elizabeth wand sich vor Rachegelüsten, die mir gerade recht kamen. Sie schob mir eine Brechstange unter der Tür durch. Das war natürlich sehr gefährlich für sie. Auf sie würde der Verdacht fallen, wenn Scaletti von seinem Hafenausflug zurückkehrte und ich unsichtbar geworden wäre. Ich machte mir Sorgen. Sie war viel zu schön, um einem zornigen Onkel zum Opfer zu fallen. Ich gab ihr meine Adresse und verriet ihr die Sensation mit dem Schlüssel unter dem Abtreter. Ich bat sie dringlich, sie möge sich dort verstecken, bis ich die Angelegenheit geklärt hätte. Schließlich stimmte sie zu. Ich hörte, wie sie sich entfernte. Hoffentlich erschrak sie nicht allzu sehr über meine knallig-gelbe Sitzgruppe. Ich machte mir mehr als Sorgen um sie. In meinem Herz krampfte sich etwas zusammen. Ich hatte fast vergessen, wie das war. Es gab zwar mehrere alte Lieben in meiner Vergangenheit, aber alle waren verrostet.

Mit dem Brecheisen war die Tür kein Problem mehr. Ich stieg wieder hinauf in den Flur. Gleich die erste Tür führte ins Büro von Scaletti. Ich konnte mir meiner Sache sicher sein, denn der Boss war ja im Hafen. Mein naßforsches Auftauchen in seinen Plänen hatte ihn wohl aus dem Konzept gebracht. Er war fahrig genug, die Mappe zu vergessen, die brisante Dokumente über illegale Waffengeschäfte enthielt. Ich stürzte mich darauf, wie ein junges Kätzchen nach einem Wollknäuel hascht. Meine Beweisführung war gesichert. Daneben lag das Stück Artillerie, das man mir abgenommen hatte. Als erfahrener Detektiv kontrollierte ich den Colt. Der Fleischklops hatte sich gleichfalls professionell verhalten und die Patronen wohlweislich entfernt.

Jetzt mußte ich aber dringend in den Hafen. Ich ging zurück in den Flur. Ganz hinten war der Ausgang zum Hof. Die Tür war kein Problem, aber draußen angekommen, hörte ich Schritte auf der Treppe über mir. Auch den Lauf einer Maschinenpistole sah ich unruhig hin- und herschwenken. Ein böser Bube führte die Waffe an der frischen Luft Gassi.

Ich sah mich um. Diesmal half keine Elizabeth. Ich mußte mir selbst etwas einfallen lassen. Da entdeckte ich ein Rad, mit dem man an dem Rohr ein Ventil öffnen konnte, das sich sicherlich weiter oben befand. Auf gut Glück und um ein bißchen Action in die Szene zu bringen, drehte ich das Ventil auf. Über mir zischte es, und der Gorilla kam die Treppe herunter, schneller als er wollte. Unachtsam legte er sich selbst und sein Gewehr beiseite. Aus seiner Tasche kullerten die Geschosse meines geliebten Revolvers. Ich gab meinem Schutzengel etwas zu essen, damit er im Notfall Blei spucken könnte. Ich tat das keinen Moment zu früh, denn als ich nach links abbog, um wieder auf die Straße zu gelangen, versperrte mir ein Eisentor den Weg. Ich überließ das Schloß dem Revolver und betrat die Straße. Jetzt müßte ich mich schnell um meinen Wagen bemühen, damit ich in den Hafen gelangen könnte.

Ein kleiner Diebstahl

Da war noch ein Problem. Der Monteur wollte bezahlt werden. Meine finanzielle Lage war nicht besonders. Aber über eine Flasche Schnaps würde der gute Mann sich freuen. Jerry hatte mir die Schnapsbrennerei empfohlen. Sie lag ohnehin auf dem Weg. Ich beschloß vorbeizuschauen und eine Flasche abzustauben. Durch das Tor gelangte ich in den Hinterhof. Ich sah mich um. Schnaps sah ich keinen; der war sicher drinnen. Man belud gerade einen Lastkraftwagen. Auf einer Kiste lag die Kurbel, mit dem man den Motor anwerfen konnte. Genau das tat ich. Die Typen hörten mit dem Verladen auf. "Joe ist wieder da." So interpretierten sie meinen kecken Streich und hörten auf, noch weitere Kisten in den Wagen zu wuchten. Durch die Tür an der Gebäudewand betrat ich das Lager. Darin tobte soviel Leben wie in einer Tonne voll Blausäure. Eine Flasche Whisky staunte die Destillieranlage an. Ich lieh sie mir aus; beim Automechaniker würde sie ein besseres Zuhause finden.

Dahin lenkte ich nun meine Schritte. Der Wagen war fertig und wie neu. Der Mechaniker akzeptierte die Bezahlung in Naturalien. Ich hatte sogar seine Lieblingsmarke erwischt. Ich versprach ihm, wegen des Einstellens des Vergasers nächste Woche wiederzukommen. Ich hoffte, ich wäre dann noch auf freiem Fuß. In einem Anfall von Optimismus machte ich mich auf den Weg zum Hafen.

Dritter Abschnitt

Prost!

Ich hielt direkt vor dem "Bloody Shark". Ich kannte es von früheren Ermittlungen. Eine üble Kaschemme für Matrosen. Der Wirt ähnelte sehr seinem Wappentier. Er würde rüpeln. Erst recht, wenn jemand wie ich aussah; so wenig wie ein Matrose und so sehr wie ein heruntergekommener Schnüffler. Ich konnte mich schlecht kostümieren. Ich besaß auch einmal einen Matrosenanzug; aber da war ich fünf Jahre alt, und meine Probleme waren nicht Mord und Totschlag, sondern das versehentlich verrutschte Komma, das Spinat zum lebenswichtigen, weil eisenhaltigen Gemüse deklarierte und die Tatsache, daß ich nicht allein auf die Schüssel im Lokus kam.

Zunächst schaute ich zum Hafen. Der Eingang lag direkt neben der Kneipe. Ein Problem trat auf, das ich erwartet hatte. Die Toreinfahrt war verschlossen. Ich mußte ein Werkzeug finden, welches dem Tor diese Gewerkschaftsphrasen vom Feierabend ausreden konnte. Würde ich es in der Kneipe erhalten? Ich hatte meine Zweifel oder besser: Die Zweifel hatten mich. Spült man die Sorgen nicht mit Bier herunter? Ich fand auf dem Weg zur Kneipe ein Fünf-Cent-Stück. Es kam mir sehr gelegen. Ich würde es in Alkohol umsetzen.

Ich betrat das "Bloody Shark". Sieh an, der alte Hai von Wirt war nicht da. Dafür wuchs jetzt etwas sehr Geschwätziges hinter der Theke. Der neue Wirt wollte eindeutig zu viel wissen; für ein Bier erzähle ich doch nicht die Geschichte meines gescheiterten Lebens! Ich fuhr ihn an, er solle mir ein Bier geben, sonst nichts. Lässig warf ich die Münze hin. Ich bekam das Quantum Hopfen und Malz, das man für fünf Cent erwarten konnte, und wandte mich an den Tisch, an dem ein Matrose vor sich hinkaute. Ich nippte an meinem Bier. Es war schal. Dafür gefiel mir, was sich auf dem Teller des sturmerprobten Seefahrers tummelte. Es sah aus wie eine Wurst. Hatte ich Hunger? Nein, es ging nicht um meinen Magen. Ich würde viel lieber ein paar Pfund Bauchspeck als meinen Kopf verlieren. Als ich mich da draußen umgesehen hatte, glaubte ich, in der Ferne Hundegebell gehört zu haben. Möglicherweise könnte es tierische Probleme geben; ein bißchen Happa-Happa wäre vielleicht hilfreich. Man muß mit Tieren reden können, und am besten gefällt man Vierbeinern in der Rolle des Dosenöffners.

Ich sprach den Matrosen an. Er brüllte, ob er nicht einmal in Ruhe essen dürfe. Er entpuppte sich als ein armer Tropf, dem selbst die Paar Cent für ein Bier fehlten. Ich schob ihm meines hin. Das war eine Geste, die gut ankam. Er schob seinen Teller von sich, um sich ganz dem Gerstensaft widmen zu können. Er hatte nichts dagegen, daß ich mir die Wurst vom Teller nahm.

Ich schaffte mich an die frische Luft und lauschte, wo der Hund sein könne. Das klägliche Geräusch kam von der anderen Straßenseite.

Also ging ich hinüber, die Gasse neben dem "Golden Fish" hoch. Da saß ein Penner auf dem Gehsteig und nuckelte an einer Flasche, die ihm bestimmt nicht seine Mama gebracht hatte. Die ganze Gasse roch nach Rum. Ich ignorierte beides, den verführerischen Geruch und seinen Ausgangspunkt.

Tatsächlich fand ich in dem Hof, der einem Schiffsbauer gehören mochte, einen Wauwau, der alles andere als ein Schoßtier war. Er bellte mich so furchtbar an, als wenn ich ihm seinen quietschenden Spielzeugknochen gestohlen hätte. Ich war versucht, den Köter links liegen zu lassen, aber auf dem Hof suhlte sich ein Werkzeug im Dreck, einer Metallschere nicht unähnlich. Dummerweise in Reich- und Beißweite des Hundes. Wir verhandelten eine Weile. Es war nicht leicht, aber der treue Freund des Menschen ließ sich bestechen und erklärte sich bereit, mich gegen eine Abfindung auf den Hof zu lassen. Ich präsentierte ihm die Wurst. Er verschlang sie schmatzend, während ich mir das Gerät angelte. Es war tatsächlich eine Metallschere.

Ich führte sie ein wenig Gassi: direkt zur Hafeneinfahrt. Die Kette murmelte etwas von "morgen früh wiederkommen", aber mein Werkzeug ließ sie erschlafft und verstummt zu Boden fallen. Ich stieß das Tor auf. Das Wichtigste war gleich zu sehen. Vor einer beleuchteten Lagerhalle standen zwei Wagen. Da mußte ich hin. Allerdings patrouillierte eine Gestalt davor, die nicht wie ein Eisverkäufer aussah. Im ersten Schreck wich ich zurück. Feigheit vor dem Feinde? Keine Spur! Na, vielleicht ein bißchen. Aber hauptsächlich verließ ich das Hafengelände wieder, weil mir der Penner und seine Flasche Rum einfielen. Auf diesem Hafengelände würde man vielleicht Matrosen und Seefahrer antreffen, die alle gegen einen Rum wenig einzuwenden hätten. Vielleicht auch einen Eisverkäufer, der das aromatische Getränk über sein Gefrorenes gießen wollte. Ich schlich also zurück in die Gasse neben dem "Golden Fish".

Wahrscheinlich träumte die Schnapsdrossel von Rumfässern in Dessous, die über eine Zuckerrohrplantage tanzten. Ich zeigte wenig Bedenken, den Mann zu bestehlen. Lange genug hatte ich gegen den Alkohol gekämpft. Ich steckte die Flasche ein und schlich mich wieder zum ...

Hafen

Ich kontrollierte, wie der Handlanger Scalettis seine Runden drehte. Lief ich ihm über den Weg, würde er mich ohne Bedenken niederknallen. Bei der nächsten Bescherung durch den Weihnachtsmann hätte er nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Für den war ich kein Mensch, sondern nur ein Schnüffler.

Ich ließ ein paar Tropfen Rum verdunsten und schlich im rechten Augenblick los. An der Lagerhalle stahl ich mich vorbei. Die beiden Tore luden zur Untersuchung ein, zunächst aber wollte ich mich vorbereiten. Ich ging weiter geradeaus und gelangte so auf ein Pier.

In dieser kriegerischen Umgebung, wo ich hinter jeder Kiste einen Gewehrlauf und in jedem Faß eine Ladung Dynamit erwartete, saß tatsächlich ein alter Mann an der Hafenmauer und fütterte die Fische. Wahrscheinlich hegte er die Hoffnung, sie würden ihm einen ihrer Kameraden ausliefern. Ich sprach ihn an. Erfreut war er darüber nicht. Seine Sorge war, wegen mir noch hungrig ins Bett zu müssen, ohne daß ein paar Fische in seinem Bauch statt im Meer schwimmen würden. Neben seinem Hocker entdeckte ich ein Seil, das mir ganz nützlich erschien. Geben wollte er es mir nicht. Die Flasche Rum, die ich in meiner Manteltasche klappern ließ, stimmte ihn um. Ich tauschte die Flasche gegen das Seil. Ein guter Handel, denn wir waren beide damit zufrieden.

Ich entdeckte ein Labyrinth aus drei Meter hohen Holzkisten. Das mußte ich natürlich inspizieren. Außer ein paar zerfledderten Zolldeklarationen und einem alten Arbeitshandschuh konnte ich nichts Nützliches entdecken. An einer Stelle lungerten ein paar Halbstarke herum, die ausgerechnet mir Geld abknöpfen wollten. Ein paar Revolverschüsse auf ihre klumpigen Füße ließen sie hüpfen. Diese Tanzstunde gefiel ihnen nicht. Sie rannten weg. Dabei ließen sie eine Brechstange zurück. Mit dieser tischlerte ich so lange an einer ramponierten Kiste herum, bis ich eine ausgezeichnete Planke gewonnen hatte, mit der ich die Kutter betreten könnte, die am Pier lagen. Ich mußte nur noch einen Weg zum Wasser finden.

Mary Ann schwamm darin. Ausnahmsweise war es keine Leiche, sondern der Kutter, der am Pier lag, nannte sich so. Mit der Holzplanke gelang es mir, den Kahn zu betreten. Es war nicht gerade die Luxusausstattung der Titanic. Aber während dieser Kutter immer noch schwamm, mixten an der Bar des Ozeanriesens jetzt die Muscheln ihre Cocktails. Aber an Schiffskatastrophen wollte ich lieber nicht denken. Mir gab schon das leichte Schwanken des Kutters eine Vorstellung von der Übelkeit, die mich auf hoher See packen würde. Ich schnappte mir den Anker, dessen Widerhaken-Smiley mich kurioserweise von der Wand angrinste. Ich hoffte, der Kutter hatte noch einen weiteren, der nicht gerade Urlaub machte. Das wollte ich lieber nicht testen. Ich ging von Bord.

Langsam müßte ich genauer erforschen, welches Würfelspiel wohl in der Lagerhalle angesagt war, das eine solche Bewachung nötig machte. Ich schlenderte zurück zum Pier.

Gangster unter sich

Um die Halle patrouillierte immer noch Scalettis Ganeff. Ich schlich mich durch das Tor, immer in der Ungewißheit, ob der Typ mit dem Maschinengewehr gleich meinen Mantel durchlöchern würde. In der Mitte des Raumes spielte sich ein Magnetkran auf, der ein paar Gramm Metall in der Luft hielt. Ich verstand nicht viel von magnetischen Feldern, hoffte aber, der massige Doppel-T-Träger würde noch eine Weile schweben. Er sollte weder meine Hutkrempe umknicken, noch die Aufmerksamkeit der bewaffneten Spaziergänger auf diesen Raum lenken. Zumindest nicht, solange ich mich hier herumtrieb. Als ich so das Wunderwerk der Technik bestaunte, bemerkte ich eine Leiter. Sie führte auf ein Gerüst, das sich über den Kran rekelte. Von dort konnte man nach nebenan gelangen.

Ich nahm die Leiter in Angriff und schlich in die angrenzende Halle. Während ich mich um die Stille sorgte, jauchzten hier die Dorftrottel auf einer Kirmes. Ungestört konferierte die Unterwelt der Stadt. Mit den Vorstrafenregistern, die sich hier versammelt hatten, könnte man eine Brücke über den Atlantik bauen. Von zwei bewaffneten Kleiderschränken bewacht, sprach Scaletti mit einem Major der U.S. Army! Sein Gewissen mochten seine Geschäfte ja nicht belasten, aber der Militär hatte mächtig graue Haare darüber bekommen. Die beiden besprachen ihre ausgezeichnete Zusammenarbeit. Der Major veruntreute wohl die neueste Waffentechnik an die Gangster. Scaletti bekam sein gieriges Maul gar nicht voll genug von den neuen Gewehren; das nächste Mal wollte er eine größere Ladung ordern.

Dann nahm das Gespräch eine unangenehme Wendung. Der Major erwähnte einen neu gewonnenen Freund unter den Gesetzeshütern. Er meinte niemand anderen als Inspektor Rogers, dessen Monatseinkommen er beträchtlich aufgestockt habe. Rogers hatte mich auf den Fall angesetzt, obwohl er selbst darin verstrickt war. Ein lausiger Schnüffler sollte als sein Alibi fungieren! Er traute mir nicht mehr viel zu. Er hielt mich für einen heruntergekommenen Säufer, der eher den Niagara-Fall als den Fall Reynolds lösen würde. Dem würde ich es schon zeigen.

Aber auch mir wollte man es zeigen. Der Major zeigte sich beunruhigt über einen Schnüffler, der ihm auf den Fersen war. Scaletti beruhigte ihn. Er meinte, der Typ bewache im Augenblick das eingemachte Kompott in seinem Keller. War die Vorstellung hier vorüber, wollte er den Schnüffler selbst einkochen. Ich grinste vom Geländer herab.

Dann lief das eigentliche Geschäft ab. Scaletti rückte die Penunzen heraus. Fünftausendfünfhundert Dollar! Geld stinkt nicht. Das stimmte. Der Gestank der Korruption hätte die ganze Lagerhalle verpesten müssen, aber es blieb bei Geruch von miefigen Kisten und einem Hauch von Schmieröl.

Der Major erwähnte noch, er sei für morgen mit Inspektor Rogers im Verwaltungsgebäude seiner Einheit verabredet. Dann würde er Rogers dessen Anteil von fünfhundert Mäusen in die Taschen des abgewetzten Anzuges stecken. Fünfhundert Mäuse! Das waren für einen unterbezahlten Angestellten von Onkel Sam fast zweihundertsiebenundzwanzig Ratten.

Als die beiden ehrenwerten Gauner von der Bildfläche verschwanden, nicht ohne in Höflichkeitsfloskeln abzugleiten und sich samt Gattinnen zum Abendessen einzuladen, überlegte ich, wie ich die restlichen Ganoven ablenken könnte, um über die Leiter aufs Dach zu entweichen. Da fiel mein Blick auf einen Schalter in der Mitte des Raumes. Ob er etwas mit dem Magnetkran im Nachbarraum zu tun hatte, der sich immer noch redlich Mühe gab, in der Schwebe zu halten, was ihm die Physiker vorgerechnet hatten? Ich überzeugte ihn, daß er, wie jeder Dockarbeiter, das Recht auf eine Pause habe, und legte die Weiche um. Spontan ließ der Kran nebenan seine schwere Last fallen. Es schepperte furchtbar. Ich hatte einmal etwas von einem Europäer namens Wagner gehört. Er nannte es ein Musikdrama. Der Krach hier war beinahe genauso schlimm.

Die Gannefs von drüben hatten das Orchester auch gehört. Eilig machten sie sich auf den Weg. Ich hatte freie Bahn in der verwaisten Halle, stolperte über einen Schraubenschlüssel und stieg über die Leiter auf das Dach. Scalettis Leute dachten an alles. Selbst auf dem Dach hatten sie einen Ballermann stationiert. Es half nichts. Ich spielte mit meinem Colt, und er fiel hin. Möglich, daß es da einen Zusammenhang gab. Vielleicht hatte mein Schießeisen versehentlich seine Birne berührt. Jedenfalls ging bei ihm das Licht aus. Vorsichtig bettete ich ihn auf das Dach und riet ihm, er solle sich erst einmal richtig auskurieren.

Das alles geschah so leise wie möglich; erstens, um den Träumer nicht weiter zu stören, und zweitens patrouillierte vor dem Hinterausgang der Halle ein weiterer Ganove. Er bewachte einen Lastkraftwagen der Army, der sich dort ausruhte. Manchmal muß man sich einfach Zeit für sein Hobby nehmen. Ich begann eine kleine Bastelei. Aus dem Anker und dem Seil des Kapitäns murkste ich etwas zusammen, was mir das Abseilen auf das Dach des Wagens ermöglichte. Als der Gangster für kurze Zeit verschwand, ließ ich mich hinunterplumpsen und krallte mich auf dem Dach fest.

Der Gangster kam zurück und brachte etwas mit: das Kommando zum Losfahren. Ich hatte mich keine Minute zu früh auf das Taxi gelegt. Die Reise begann ...

Vierter Abschnitt

In The Army Now

Der Lastkraftwagen blieb allein in einer Halle auf dem Kasernengelände zurück. Soweit ich das beurteilen konnte, war ich das einzige im Raum, was röcheln, husten und frieren konnte. Vom Fahrtwind tiefgekühlt, kletterte ich mühsam vom Wagendach. Alles war still. Daß ich eingeschlossen war, behagte mir nicht sonderlich. In der Halle stand eine Werkbank, aber es fand sich nichts Passendes, die Tür zu öffnen. Der Lastkraftwagen, mit dem ich mich reichlich bekanntmachen konnte, flüsterte mir zu, er trage einen Werkzeugkasten unter seinem Bauch. Er log nicht. Ich öffnete die Kiste und inspizierte das Instrumentarium. Die Axt sah aus, als könnte sie das Schloß an der Tür überzeugen, aufzugehen. Als Detektiv fragte ich mich schon, wie ein Vorhängeschloß, von innen angebracht, abgeschlossen sein kann, wenn sich doch niemand mehr im Raum befindet. Ich war der festen Ansicht, alles auf der Welt ginge natürlich zu - außer meiner Hose - aber der Umstand mit dem Schloß verblüffte mich doch. Doch halt! Ich Dummkopf. Die Halle wurde doch nicht über Nacht um den LKW herumgebaut. Erst jetzt bemerkte ich, daß die Tür Teil eines Torflügels war.

Ich trat ins Freie. Es war bereits Morgen. Ich überlegte mir, ob es auf einem Militärgelände nicht sinnvoll sei, Uniform zu tragen. Besonders, wenn man nicht auffallen durfte, so wie ein polizeilich gesuchter Doppelmörder, der seinen Jäger, einen bestechlichen Inspektor, auffliegen lassen wollte.

Die Halle, in der sich der Lastkraftwagen von seinem kriminellen Ausflug ausruhte, trug als Make-Up eine riesige Zwei im Gesicht. Die Baracke daneben könnte ein Lager sein, das auch die Uniformen beherbergte. Mal nachsehen. Dummerweise, oder sollte ich sagen korrekterweise, war die Tür verschlossen. Aber mein Adlerblick sah an diesem frischen Morgen alles. Auf der Straße vor der Halle 2 lag ein Stück Draht. Ich angelte es mir. Ich gab mich als Manager einer berühmten deutschen Schauspielerin aus und versprach dem Draht eine unglaubliche Karriere beim Film. Ich führte ihn aber nicht nach Hollywood, sondern in die Halle 2. Die Werkbank darin paßte den Draht seiner ersten Hauptrolle an. Er sah zwar nicht aus wie Marlene, aber wie ein Dietrich, der sich an der Lagertür nebenan beweisen sollte. Er legte ein glänzendes Debüt vor: Ohne Probleme betrat ich das Lager, das militärische Ausrüstung in Hülle und Fülle barg. Ich beschloß, meine verlotterte Zivilistenexistenz aufzugeben.

Einberufung

Ich schnappte mir die Uniform, die sich ganz unmilitärisch auf dem Schreibtisch herumlümmelte. Glücklicherweise beförderte sie mich gleich zum Offizier. Ich wollte mich in meinem Alter auch nicht als einfacher "Schütze Arsch" schikanieren lassen. Auf einer Kiste lag eine achtlos deponierte Hundemarke. Nahm ich sie mit? Ach was, ich hatte auch so eine neue Identität. Kein Soldat würde nach den Papieren eines Offiziers fragen.

Stolz trat ich ans Tageslicht. Ich konnte es gar nicht abwarten, daß sich irgend so ein Pimpf vor meiner beeindruckenden Uniform zum Hampelmann machte.

Ich schaute mich um. Auf die Halle 2 folgte ein Gebäude, das eine 6 zur Schau stellte. Es war aber nicht der Regimentspuff, sondern die Küche. Hier würde ich bestimmt nicht erfahren, welchen Major ich gestern im Hafen gesehen hatte. Ein Ort wie das Offizierskasino schien mir schon vielversprechender. Es lag gegenüber dem Ausrüstungslager.

Vor dem Offizierskasino lag eine Schachtel Zigaretten. Ich befand es unter der Würde eines Offiziers der U.S. Army, sich danach zu bücken; aber Orlando, dieser ehrlose Zivilist, hätte es verdammt gern getan!

Im Kasino tobte nicht gerade das Leben. Außer dem Wirt, der seinen Bauch hinter der Theke schwenkte, hockte nur ein Offizier an einem Tisch. Ich verwickelte ihn in ein Gespräch und erfuhr, daß ich Oberst Williams in seinem Büro im Verwaltungsgebäude finden würde. Die Treppe hoch, das Zimmer am Ende des Flurs. Dummerweise mußte man sich bei einem gewissen Major Stewart anmelden, wenn man den Oberst sprechen wollte. Ich konnte nur hoffen, daß Major Stewart nicht die kriminelle Gestalt aus dem Hafen war.

Ich verließ das Kasino. Der Wirt hätte mir sicher nicht mehr sagen können als der Offizier. Links neben dem Kasino befand die Einfahrt zum Kasernengelände. Ein Soldat spazierte vor dem Schlagbaum auf und ab. Ich stellte mich vor ihm auf. Es klappte. Er zuckte zusammen und machte Meldung. Wenn man Zivilisten nur so ausfragen könnte wie den Kasper, der sich Gefreiter Hughes nannte. Ich fragte ihn, ob irgendwelche Fahrzeuge das Gelände verlassen hätten. Drei Lastkraftwagen, auf Befehl von Major Stewart. Nach den Papieren beförderten sie angeblich Abfall und Altöl.

Major Stewart und sein angebliches Altöl wurden in meinen Augen mehr als verdächtig. Der Soldat sagte, der Major sei schon auf dem Kasernengelände.

Von Büro zu Büro

An den Gebäuden Eins und Zwo vorbei, gelangte ich vor das Verwaltungsgebäude. Den Posten davor fragte ich nach Major Stewart. Er war seit einer Stunde im Haus. Wie alle Offiziere.

Forsch nahm ich die Treppen und marschierte in das Zimmer am Ende des Flurs. Es war das Vorzimmer des Oberst. Ich hatte es erwartet. Auch, daß ich den Knülch namens Major Stewart, der es bevölkerte, gestern schon kennengelernt hatte. Als ich nach dem Oberst fragte, beschied mir der Busenfreund Scalettis, Williams sei vor fünfzehn Minuten abgereist. Warten hatte keinen Sinn, denn er weilte für die nächsten fünf Tage auf einem Truppenübungsplatz. Da ich hartnäckig blieb, kam Stewart mit immer neuen Ausflüchten. Der Oberst habe Angina, er habe den General in seinem Büro, keine Zeit und so weiter. Es fehlte nur noch, daß er behauptete, der Oberst spiele mit seiner Modelleisenbahn. Nichts als Ausreden und Lügen. Hätte Pinocchio vor mir gesessen, wäre ich schon längst von der rapide wachsenden Nase aus dem Raum geschoben worden. Aber es war Stewart, und so mußte ich von allein gehen.

Seltsam. Zählte der Posten vor dem Haus ausgerechnet seinen Oberst nicht mit zu dem angeblich vollständig versammelten Offizierskader? Und warum wollte Stewart nicht, daß ich laut würde? Waren wir in einem Sanatorium oder auf einer Kommandatur? Mochte es Stewart nicht, wenn jemand sein Trommelfell kitzelte, oder fürchtete er, allzu großer Lärm könne einen empörten Oberst in das Vorzimmer locken?

Ich verließ das Büro und beschloß, alle Räume auf diesem Flur abzugrasen. Vorn an der Treppe würde ich beginnen. Es war die Telefonzentrale. Ich überlegte, ob ich nicht alle Löwen hier versammeln sollte. Das heißt, ich erwog, auch Inspektor Rogers herzubitten, um seine Judasgroschen abzuholen. Der Mann am Telefonpult sah mir aber nicht danach aus, daß er jeden an seine geliebten Stecker lassen würde.

Ich sagte ihm, daß mein Telefon nicht in Ordnung wäre und befahl ihm, er möge sich darum kümmern. An den Befehlston konnte ich mich richtig gewöhnen. Das lag sicher daran, daß ich die Weisungen erteilte und nicht empfing. Der Typ sauste sofort los.

Ich mußte das Telefon erst anschließen. Ich imitierte die Handgriffe, die ich eben beobachtet hatte und stöpselte das Telefon in irgendeine Buchse. Glück gehabt! Ich wählte die Nummer von Rogers. Er war sehr erpicht darauf, sein Geld zu erhalten und versprach, gleich vorbeizukommen.

Hinter der nächsten Tür tippte es seltsam. Ich öffnete. Eine Frau in Uniform schlug eine Maschine, die ängstlich vor ihr auf dem Tisch hockte und sich schützend die Tasten vor das Gesicht hielt. Wahrscheinlich war es eine Schreibmaschine, und die Frau dahinter eine Sekretärin. Zu ihren Füßen fummelte der Techniker aus der Telefonzentrale herum; wohlgemerkt an der Leitung.

Ich stellte mich als Frank Terry vor. Ich sei der neue Mitarbeiter. Die Tippse nannte sich Julia Hanks. Ich hoffte, ihr Name sei etwas wahrhaftiger als meiner. Beiläufig fragte ich sie, ob Major Stewart schon über den Einbruch in Halle 2 informiert sei. Er war es nicht, aber sie nahm es gleich in Angriff und den Hörer in die Hand.

Ich schäkerte noch ein wenig mit der Frau. Dann machte ich mich auf den Weg zum Oberst. Major Stewart nahm seine Pflichten sehr genau. Er kümmerte sich um die Invasion in Halle 2, um meinen Einbruch, den ich selbst gemeldet hatte. Die Folgen dieser Untersuchung fürchtete ich nicht mehr. Stewart selbst würde in ein paar Minuten ziemlich dumm unter seiner Dienstmütze hervorschauen. Das Vorzimmer war leer. Niemand hinderte mich mehr, den Oberst aufzusuchen.

Showdown

Einladend war seine Begrüßung nicht. Er kannte mich nicht, sein Adjutant hatte mich nicht angemeldet, und vielleicht witterte er die üble Angelegenheit, die ich ihm eröffnen würde.

Ich stellte mich kurz vor. Ich gefiel ihm nicht. Doch ich war nicht auf der Welt, um einem Oberst der Army zu gefallen. Auch an meiner Geschichte behagte ihm vieles nicht. Warum ein Privatdetektiv in seiner Kaserne herumstreift, noch dazu in dem geheiligten Tuch, das er selbst trug. Dieser Mann war offensichtlich nicht in den Sumpf der Korruption verstrickt. Ich erzählte ihm alles. Vom Mord an Reynolds und von den lukrativen Nebengeschäften des Major Stewart. Er war mehr als erstaunt. Er war erschüttert. Möglicherweise war er der erste Patriot, dem ich in meinem Leben begegnet bin.

Er reagierte sofort und forderte zwei MPs an. Sie erhielten den Befehl, Major Stewart zu verhaften. Da stürmten auch schon Inspektor Rogers und der Adjutant des Oberst den Raum. Sie waren in Begleitung von zwei Kanonen, die jederzeit bereit waren, Löcher in unsere Uniformen zu stanzen. Wir tasteten vorsichtshalber die Luft über uns ab. Offensichtlich hatte auch Stewart mit Rogers telefoniert - nach mir. Die doppelte Einladung zum Geldschieben verblüffte wohl beide. Den Rest reimten sie sich zusammen.

Sie waren in der Lage, uns zu verhöhnen, und sie waren nicht die Menschen, die sich zurückhalten konnten. Sie stellten in Aussicht, wie sie den Oberst umbringen würden. Ich bekäme wieder einmal eine Betäubung. Wenn die Militär-Polizei den Oberst finden würde, hätte ich meinen dritten Mord in zwei Tagen begangen. Eine beeindruckende Leistung für einen Ehrenbürger. Der Verabredung mit "Old Sparky", dem alten Funkensprüher, dem unbequemen, elektrisierenden Sitzmöbel könnte ich dann sicher nicht mehr ausweichen. Für Verbrechen, die ich nie begangen habe, würden sie mich backen wie eine Pizza. Apropos Pizza: Ich hoffte stark, die bestellten Wachen würden schneller erscheinen als das belegte Gebäck bei "Marco". Rogers und Stewart zeigten sich geschwätzig wie zwei Waschweiber, die sich ihre Affären vorzählten. Sie plauderten alle ihre Untaten vor dem Oberst aus. Diese Geständnisse würden ihre Verfahren abkürzen.

Schließlich war es soweit. Die Retter stießen die Tür auf. Stewart bekam sie in sein Kreuz. Er wurde plötzlich sehr müde und legte sich auf den Fußboden. Seine Waffe bettete er neben sich. Als Beamter reagierte Rogers langsamer. Doch von den MPs zeigte er sich beeindruckt. Jetzt war er dran, eine Wolke zu greifen.

Das Spiel war aus. Der Oberst war gerührt. Am liebsten hätte er mir einen Orden verliehen; die Uniform, die ich mir entliehen hatte, schenkte er mir. Eine Gabe, die eher seiner Wertschätzung als der meinen entsprach, aber ich verstand die Geste.

Rogers und Stewart wurden abgeführt. Der Oberst lud mich zu einem Abendessen ein. Wir plauderten kurz über Kulinarisches, da mir einfiel, daß der Oberinspektor samt Bürgermeister in die Kaserne kommen könnten. Der Oberst versprach, es zu arrangieren. Ich bat, daß auch Elizabeth aus meiner Wohnung abgeholt werden sollte. Elizabeth! An sie dachte ich bereits, da mir der Oberst zum Abschied die Hand schüttelte ...

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